Solange es keinen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 gibt, wird eine zeitnahe Immunität der Bevölkerung nicht zu erreichen sein – zumindest nicht, ohne das Gesundheitssystem zu überfordern. Doch wann ist überhaupt mit einem Impfstoff zu rechnen?
Basisreproduktionszahl muss niedrig gehalten werden
Von der „Basisreproduktionszahl“ hört man in diesen Tagen viel. Sie gibt an, wie viele weitere Menschen eine infektiöse Person durchschnittlich ansteckt, wenn kein Mitglied der Population gegenüber dem Erreger immun ist.
Für SARS-CoV-2 liegt die Basisreproduktionszahl vermutlich bei ungefähr 2 bis 3 (Im Vergleich dazu: Für Influenza liegt sie zwischen zwei und vier und für Masern bei zwölf bis 18). Eine Reduktion des Sozialkontakts um 75% kann die Reproduktionszahl von SARS-CoV-2 auf 0,625 senken. Ein Infizierter würde so nach 30 Tagen zu zwei bis drei weiteren Infizierten führen – statt zu 406 Infizierten, die es bei gewohntem sozialen Kontakt wären.
Kontaktbeschränkungen werden verlängert
Die Bundesregierung gab am 15. April 2020 bekannt, dass die Kontaktbeschränkungen vorerst bis zum 3. Mai verlängert und auch danach nur schrittweise gelockert werden – abhängig davon, wie sich SARS-CoV-2 weiter ausbreitet. Doch ewig kann man die Kontaktbeschränkungen natürlich nicht aufrechterhalten und stoppen lässt sich die Pandemie letztendlich nur mit ausreichender Immunität in der Bevölkerung.
Eine zeitnahe Immunität in der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 ohne Impfstoff zu erreichen, ist ohne eine Überforderung des Gesundheitswesens und des Risikos vieler Todesfälle nicht möglich [].
Impfstoffentwicklung kommt zentrale Bedeutung zu
Vor einem Monat – am 16. März 2020 – startete die erste Studie zu einem SARS-CoV-2-Impfstoff. Inzwischen sind mehr als 70 Kandidaten in der frühen klinischen Erprobung.
Vielversprechende Kandidaten sind:
- mRNA-1273: mRNA-Impfstoff, der für S-Protein (SARS-CoV-2-Spike-Protein) kodiert, Phase I (NCT04283461)
- Ad5-nCoV: Adenovirus-Vektor, der S-Protein exprimiert, Phase I (NCT04313127)
- INO-4800: DNA-Plasmid, das für S-Protein kodiert, wird durch Elektroporation abgegeben, Phase I (NCT04336410)
- LV-SMENP-DC: dendritische Zellen, modifiziert mit lentiviralem Vektor, der ausgewählte virale Proteine exprimiert, Phase I (NCT04276896)
- Pathogen-spezifische aAPC: künstliche Antigen-präsentierende Zellen, modifiziert mit lentiviralem Vektor, der ausgewählte virale Proteine exprimiert, Phase I (NCT04299724)
Keines dieser Konzepte beruht auf bereits zugelassenen Impfstoffen. Welche Kandidaten letztendlich zum Einsatz kommen werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Denn nicht nur die Wirksamkeit und die Ansprechrate sind wichtig. Eine zentrale Rolle spielt auch die Produzierbarkeit, schließlich muss der Impfstoff in kurzer Zeit einer großen Anzahl an Menschen zur Verfügung stehen können. Das scheint bei INO-4800, LV-SMENP-DC und den aAPCs eher schwierig, auch wenn sie wahrscheinlich eine gute Immunität bewirken. Vor allem, was die Produzierbarkeit betrifft, ist das Konzept des mRNA-Impfstoffes interessant.
Eine weitere Frage wird die des passenden Adjuvans sein. Ein Adjuvans kann die Menge des pro Dosis erforderlichen Impfproteins verringern. Gerade für Ältere, die eine Hauptrisikogruppe für COVID-19 darstellen, spielt es eine wichtige Rolle, um gute Ansprechraten zu bekommen.
Optimistische Schätzungen
Doch wie lange dauert die Entwicklung eines neuen Impfstoffkonzepts? Da ein Impfstoff gesunden Menschen gegeben wird, steht die Sicherheit im Vordergrund – und die kostet Zeit. Die vorklinischen Tests nehmen für gewöhnlich zwischen fünf und 15 Jahre in Anspruch, weitere fünf bis 15 Jahre benötigt die anschließende klinische Entwicklung. Und auch nach der Zulassung müssen weitere Studien durchgeführt werden. Bis es einen Impfstoff gegen Malaria gab, brauchte es 30 Jahre Entwicklungszeit, sagte Dr. Jens Vollmar, Medizinischer Leiter des Fachbereichs Impfstoffe bei GlaxoSmithKline (GSK) am 15. April auf der virtuellen Veranstaltung „Arbeiten unter Hochdruck: Wo steht die Impfstoffentwicklung gegen das SARS-CoV-2?“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Science to Go: GSK Breakfast“. Solange kann und will natürlich niemand warten.
Optimistische Schätzungen für die Entwicklungszeit eines SARS-CoV-2-Pandemie-Impfstoffs liegen derzeit bei einem bis anderthalb Jahre für die vorklinische und klinische Entwicklung. Doch das ist nur möglich mit einer weitreichenden Zusammenarbeit aller Beteiligten und so bündeln derzeit zahlreiche Universitäten und Firmen ihr wissenschaftliches und technisches Know-How.
Aufgrund der Vielzahl und Verschiedenheit der Menschen, die die Impfung benötigen, ist es Vollmar zufolge durchaus wünschenswert, wenn es letztendlich verschiedene Impfstoffe geben wird. Wer dann – wenn ein oder mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen sollten – primär geimpft werden wird, wird Aufgabe der Regierungen und Behörden sein.