Zukunftstrends für den medizinischen Alltag

Apps, Big Data, Costumized Medicine: Welche Entwicklungen werden in Zukunft den neurologischen Alltag bereichern? Das diskutier­ten Zu­kunfts­forscher und Neurologen im Rahmen des Satelliten­sym­po­siums „Gestern war heute noch morgen“ auf dem 92. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Ende September 2019 in Stuttgart stattfand.

„Haben Sie sich schon gefragt, was die Zukunft bringen wird?“

Prof. Meuth auf dem DGN © Maja Christ
Auf dem DGN-Kongress diskutierte Prof. Dr. Dr. Sven Meuth, Münster, mit seinem „virtuellen Ich“ aus der Zukunft.

Das fragte der Neurologe Sven Meuth, Münster, die Besucher des von der Firma Biogen veranstalteten Satellitensymposiums „Gestern war heute noch morgen“ auf dem DGN-Kongress. Anschließend  diskutierte er mit seinem „virtuellen Ich“ aus der Zukunft über die Möglichkeiten, die sich für die Medizin ergeben könnten.

Der Zukunftsforscher Harry Gatterer, Wien, gab in seinem Vortrag zu bedenken, dass das Problem mit der Digitalisierung der Welt sei, dass man denke, man könne mehr über die Zukunft wissen. In Wirklichkeit sei das Gegenteil der Fall: Je genauer man versuche, die Zukunft vorherzusagen, desto sicherer läge man daneben. Als Beispiel nannte Gatterer die Grippe­welle-Vorhersage über Google-Suchbegriffe, die zwei Jahre in Folge erstaunlich gut funktionierte, im dritten Jahr jedoch gar nicht mehr passte.

Eine Lösung ohne Problem?

Viele Innovationen passierten Gatterer zufolge in erster Linie, weil sie möglich und nicht, weil sie nötig seien. Einen solchen Zugang könne man sich in einer Welt mit einem gigantischen Möglichkeitsraum jedoch nicht leisten. Der Mythos „Big Data“ sei geblieben, doch was mache man wirklich mit den gesammelten Daten?

Der Mediziner und Unternehmer Tobias Gantner, Köln, sieht die Möglichkeiten postitiv, die große Datenmengen, Vernetzung und die „Wisdom of Crowds“ bieten. Studienrekrutierungen über Twitter liefen heute schon deutlich schneller als über die Studienzentren. Mit „Virtual Reality“ lassen sich spielerisch medizinische und pharmazeutische Kenntnisse erlangen und sogar neue Arzneimittel entwickeln, mit 3D-Druckern personalisierte Arzneimitteldosierungen herstellen.

Customized Medicine

3D-Druck-Systeme werden immer günstiger, sodass sie auch für personalisierte Arzneimittel interessant werden. Gantner sieht in den aus Biopolymeren gedruckten Einzelfertigungen gleich mehrere Vorteile. Zum einen müssten Patienten statt mehrerer Pillen nur eine einzelne Pille mit mehreren Wirkstoffen schlucken. Zum anderen sei es einfacher, personalisierte Dosierungen herzustellen. Bis ein solches System flächendeckend zur Realität werden könnte, dauert es jedoch. Die Hürden seien Gantner zufolge allerdings eher systemischer als technischer Natur – vor allem im Hinblick auf das Zulassungsprozedere.

Digitalisierung ist im klinischen Alltag angekommen

Auch Boris Kallmann, Bamberg, und Til Menge, Düsseldorf, sehen sich als aktive Gestalter der Zukunft – vor allem im Hinblick auf die sinnvolle Verwendung von Daten. Man benötige nicht noch mehr, sondern gute Daten, sagte Kallmann.

Viele Apps können schon heute den Alltag für Patienten (und Ärzte) erleichtern. Für die Versorgungspraxis werden zudem „Real-World“-Daten (RWD) immer wichtiger, darunter Registerdaten oder Analysen von Abrechnungsdaten der Krankenkassen. Sie können die im Goldstandard „kontrollierte klinische Studie“ gewonnenen Daten nicht ersetzen, aber komplettieren. Viele Patienten seien laut Kallmann und Menge bereit, aktiv zu diesen Daten beizutragen.

Je besser der Daten-Input, desto besser der Output

Mit einigen Regeln lassen sich qualitativ hochwertige RWD-Vergleichsanalysen gewährleisten: Behandlungsdetails und primäre Outcomes müssen angemessen erfasst und objektiv bestimmt werden, die primären Outcomes müssen in der Behandlungs- und der Vergleichsgruppe auf identische Art und Weise gemessen werden, Störgrößen für Behandlungseffekte müssen dokumentiert und im Studiendesign sowie in der Analyse berücksichtigt werden – die Kontrolle erfolgt über statistische Methoden wie Propensity Score Matching.

Fazit

Was genau die Zukunft für die medizinische Versorgung noch bringen wird, ist ungewiss. Doch dass die Digitalisierung im klinischen Alltag angekommen ist, ist unbestreitbar. Bestimmt befürchten einige Ärzte, durch mehr Datenerhebungen und -aufarbeitung mehr Arbeit zu haben. Doch Kallmann ist sich sicher, dass die Digitalisierung dem Behandler letztendlich mehr Zeit pro einzelnem Patienten bringen wird. Und „die Patienten haben Spaß daran“, ihren Beitrag dazu zu leisten, so Kallmann.