Halten Sie eine Statintherapie bei hohen Cholesterolwerten etwa noch für geeignet?

Zahlreichen Online-Ratgebern zufolge sollten Sie sich das vielleicht nochmal überlegen. Demnach beweisen hoch wissenschaftliche Studien die Gefährlichkeit der Statine. Wir haben uns das mal angeschaut.

„Statine gehören zu den heutzutage am häufigsten verordneten Medikamenten. Sie sollen den Cholesterinspiegel senken und auf diese Weise Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern. Zwar senken sie in den meisten Fällen tatsächlich den Cholesterinspiegel, erhöhen aber gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, an Grauem Star, Muskelschwäche oder Leber- und Nierenversagen zu erkranken.“

So texten die Verfasser von www.zentrum-der-gesundheit.de. Auf dem Portal werden Ratschläge rund um das Thema ganzheitliche Gesundheitsvorsorge erteilt. Als „Autoren“ werden Personen mit fundierten Kenntnissen in Ernährung oder Fachberater für holistische Gesundheit gesucht.

Statin-Studie mit zwei Millionen Patienten

Der Artikel bezieht sich auf eine prospektive Kohortenstudie im British Medical Journal (BMJ) von 2010. Der nicht namentliche genannte Autor der Website zitiert zahlreiche „numbers needed to harm“ (weibliche Population, Einnahme 5 Jahre lang) aus der Publikation: Akutes Nierenversagen (434), Katarakt (33), Leberdysfunktion (136) und Myopathie (259).

Die Zahl der Patienten, die nötig ist, um eine kardiovaskuläre Erkrankung zu verhindern (37), wird erst zwei Abschnitte später erwähnt, nach hilfreichen Überschriften wie „Gefährliche Statine: Der Beweis“. Bewiesen wird in der Studie übrigens überhaupt nichts: Die Autoren des BMJ schreiben selbst, dass das Studiendesign nicht dafür ausgelegt war, Kausalitäten nachzuweisen, sondern nur Assoziationen aufzuzeigen.

Statine können Krebs nicht verhindern

„Immer wieder verkünden Statin-Befürworter, Statine könnten Krebs vorbeugen.“

Aussagen ohne jede Quelle lassen sich immer schwer widerlegen. In der Tat werden in der Onkologie zahlreiche, auch bekannte Medikamente in prospektiven Studien getestet oder Kohorten daraufhin untersucht. Allerdings ist die Krebsprävention keine zugelassene Indikation von Statinen. Sollte ein Arzt einen derartigen Off-Label-Use außerhalb von Studien durchführen, wird ihm keine Fachgesellschaft den Rücken decken.

Sind Statine nun sinnvoll oder nicht?

Am Ende des Beitrags weist der Autor von www.zentrum-der-gesundheit.de darauf hin, dass auch die Autoren des BMJ fordern, vorliegende Erkrankungen beziehungsweise Risikofaktoren zu beachten und gegebenenfalls die Dosis anzupassen. Das ist eine fast schon selbstverständliche Forderung und kein Grund, grundsätzlich von der Einnahme von Statinen abzuraten.

Statine sind hoch wirksame Medikamente und können Nebenwirkungen verursachen – keine Frage. In jeder Leitlinie sind Änderungen des Lebensstils die primäre Maßnahme. Erst danach werden Medikamente empfohlen. Dann sind Statine aber die erste Wahl.

In einer 20-jährigen Nachbeobachtung konnte in der West of Scotland Coronary Prevention Study nach 5-jähriger Einnahme von Statinen eine 21%ige Reduktion der kardiovaskulären Sterblichkeit gegenüber Placebo gezeigt werden. Die Gesamtsterblichkeit war um 13% verringert. Es gab keinen Unterschied bei nichtkardiovaskulären oder bei durch Krebs verursachten Todesfällen.

Böse Pharmaindustrie – Gute Alternativmedizin?

Natürlich weckt die lange Therapiedauer und die große Zahl an potenziellen Patienten die Begehrlichkeiten der Pharmaindustrie und gerade bei so großen Patientenkollektiven müssen auch seltene Nebenwirkungen genau beobachtet werden. Aber die Motivation von www.zentrum-der-gesundheit.de ist keinesfalls besser: Im Anschluss wird man zu einem Artikel weitergeleitet, in dem fragwürdige Nahrungsergänzungsmittel empfohlen werden, die in der aufdringlichen Seitenleiste auch sogleich gekauft werden können.

Aus meiner Sicht schadet diese Seite nicht nur dem Ruf der Statine, sondern auch dem Ansehen der Alternativmedizin. Die Aussagen, die dort zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln getroffen werden, können die mitunter lebenswichtige Therapie von Patienten gefährden. Die Beratung in diesem Bereich fällt eindeutig in die Kompetenz eines Arztes oder Apothekers.

 

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