Allheilmittel Cannabis?

Seit März dürfen Cannabinoide zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden.

Die Gesetzesänderung wurde in der Publikumspresse bejubelt – „Endlich darf Cannabis helfen […] Gut so! […] Der Bund hat sich lediglich Zeit damit gelassen, die Droge offiziell als Medikament anzuerkennen, und hat damit ein Mittel, das nachweislich starke Schmerzen lindern kann, unnötig schwer zugänglich gemacht.“ So ein Kommentar in der Zeit. „Denn dass der Bedarf an Cannabis als Medikament hoch ist, zeigte sich, als die bisherige Regelung in Kraft trat – die Nachfrage stieg stark.“

Richtig ist zumindest letzteres, wie Prof. Dr. med. Winfried Häuser, Kongresspräsident des deutschen Schmerzkongresses 2017, und Priv.-Doz. Dr. med. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, beim Schmerzkongress in Mannheim berichteten. Schmerzpraxen und -ambulanzen wurden von Patienten überrannt mit teilweise sehr nachdrücklichen Forderungen nach Cannabis-Rezepten.

Durch die breite Diskussion in den Medien sei – wie sich bei Gesprächen mit Patienten ergeben habe – ein falscher Eindruck entstanden. Nämlich der, dass es sich bei Cannabis um ein gut untersuchtes, sehr wirksames Arzneimittel ohne Nebenwirkungen handelt, das von Ärzten problemlos verschrieben werden kann.

Dabei sieht die Realität anders aus. Für die meisten Indikationen ist die Evidenz erschreckend dünn. Häuser und Kollegen hatten die Daten mehrerer Übersichtsarbeiten ausgewertet und wissenschaftlich betrachtet besteht kein ausreichender Nachweis für die Effektivität von Cannabinoiden (untersucht: Dronabinol, Nabilon, Medizinalhanf, THC/CBD-Spray) bei Krebsschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit (Krebs-/AIDS-Patienten). Und auch bei Kopfschmerzen und Migräne fehlen entsprechende Daten, die für alle anderen in diesen Indikationen zugelassenen Medikamente vorliegen, die deshalb bevorzugt eingesetzt werden sollten, wie Förderreuther betonte. Dazu kommen zentralnervöse und psychiatrische Nebenwirkungen, die in Häufigkeit, Art und Schwere nicht ausreichend charakterisiert sind.

Es dürfen momentan 14 verschiedene Blüten-Arten verordnet werden, zu denen keine Datenbasis existiert, welche Blüten in welcher Dosis bei welcher Indikation angewandt werden sollen – anders bei standardisierten Präparaten mit definiertem Wirkstoffgehalt, bei denen die Bereitschaft der Mediziner dann auch größer sei, diese zu verordnen.  Eine weitere Hürde sei die Verpflichtung von Ärzten zur wirtschaftlichen Verordnung und der damit verbundenen Regressgefahr. Dazu käme, dass sich leider in einigen Gesprächen abgezeichnet habe, dass der Übergang von medizinischem zu Freizeitgebrauch bei manchen Patienten fließend sei.

Cannabis darf (wahrscheinlich deswegen) nur unter bestimmten Bedingungen zulasten der Krankenkasse verordnet werden – bei schwerwiegenden Erkrankungen und dann auch nur bei fehlenden Therapiealternativen und bei „nicht ganz entfernt liegender Aussicht“ auf Verbesserung des Krankheitszustands. Zudem muss die Kostenübernahme vor Verordnung bei der Krankenkasse beantragt werden, die dann, so Häuser, auch relativ häufig abgelehnt werde.

Aus diesen Gründen und wenn man bedenkt, was in Deutschland normalerweise an Sicherheits- und Wirksamkeitsnachweisen gefordert wird, bevor ein Arzneimittel überhaupt zugelassen wird und dass für die Erstattung durch die Krankenkasse oft auch noch ein Zusatznutzen gegenüber Vergleichstherapien nachgewiesen werden muss, ist es nachvollziehbar und richtig, dass Cannabis nur unter besonderen Bedingungen erstattungsfähig ist.

Dies ist übrigens in keinem anderen Land so – außer in Deutschland müssen die Kosten für eine Cannabistherapie grundsätzlich vom Patienten selbst getragen werden.

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