Im Rahmen der Pressekonferenz anlässlich des 16. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in Leipzig berichtete Priv.-Doz. Dr. med. Nicole Töpfner, Universitätsklinikum Dresden, mit welchen Schwierigkeiten die Kinder- und Jugendmedizin im vergangenen Winter zu kämpfen hatte.
Problem RSV und Streptokokken
Im letzten Winter kam es zu einem starken Anstieg von Infektionen bei Kindern, berichtete Töpfner. SARS-CoV-2 spielte dabei keine tragende Rolle, sondern vor allem RSV und Streptokokken beherrschten das Infektionsgeschehen. Auch die Zahl der Pneumokokken-Infektionen war gestiegen.
Allein die Zahl der Klinikbehandlungen von Neugeborenen und Säuglingen mit einer RSV-Infektion verfünffachte sich im letzten Quartal 2022 im Vergleich zum vorpandemischen Jahr. Das bedeutet, dass Ende 2022 etwa 17.000 Neugeborene und Säuglinge nur aufgrund von RSV mit schweren Atemwegsinfektionen im Krankenhaus behandelt werden mussten, erläuterte Töpfner.
Hinzu kamen außerdem viele akute Mandelentzündungen und Scharlachfälle sowie schwere Infektionen durch Gruppe-A-Streptokokken (z.B. in HNO, Gehirn, Gelenke und Knochen), die teilweise so tief lagen, dass sie chirurgisch behandelt werden mussten.
Personal- und Arzneimittelmangel
Auch in der Kinder- und Jugendmedizin herrscht Fachkräftemangel, sodass die Versorgung bei steigenden Fallzahlen immer schwieriger wird. Überdies fehlen immer häufiger passende Arzneimittel. Sowohl die Lieferschwierigkeiten bei bestimmten Wirkstoffen als auch das Fehlen kindgerechter Darreichungsformen haben in den letzten Monaten die Therapie von Kindern mit Infektionen erschwert. Es könne kein Ziel sein, dass Eltern am Küchentisch Tabletten mörsern, die ihr Baby nicht schlucken kann, kritisierte Töpfner.
Wir Kinderärzte lernen gerade, mit Ersatzlisten zu arbeiten.
So hat die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) eine Liste mit antibiotischen Alternativpräparaten für verschiedene Indikationsgebiete erarbeitet. Ein Wirkstoffwechsel will nämlich wohlüberlegt sein, um nicht die Resistenzentwicklung zu begünstigen und so das Risiko für Ausbrüche mit multiresistenten Erregern zu erhöhen, sagte Töpfner.
Für nächsten Winter vorbereiten
Töpfner betonte, dass man sich auch gut auf den nächsten Winter vorbereiten müsse, da nicht so schnell mit einer Entspannung der Lage zu rechnen sei. Es ist nicht zu erwarten, dass sich eine in zwei bis drei Jahren erworbene Immunitätslücke in der Gesamtbevölkerung in kürzester Zeit spontan wieder schließe, so Töpfner. Insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern nicht.
Die lernen in den ersten Lebensjahren nicht nur sitzen, krabbeln, sprechen, laufen, sondern auch ihr Immunsystem durchläuft in dieser Zeit ebensolche Meilensteine. Es lernt mit vielen Erregern umzugehen und Immunität zu entwickeln.
Nachdem sie in den letzten Jahren durch die pandemiebedingten Einschränkungen dazu nur begrenzte Möglichkeiten hatten, stecken sie sich nun umso häufiger an.
Es kommt darauf an, dass wir lernen und vollumfänglich begreifen, dass Kinder nicht nur 13% unserer Bevölkerung sind, sondern letztendlich 100% Gegenwart und Zukunft, was wir in unseren Entscheidungen unbedingt berücksichtigen sollten.
Quelle
Priv.-Doz. Dr. med. Nicole Töpfner. Kindermedizin im Ausnahmezustand: Hohe Infektionszahlen und schwere Verläufe Wie ist die Situation aktuell, und was erwartet uns? Online-Pressekonferenz anlässlich des 16. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin – KIT 2023. Online 15. Juni 2023.