Fast jeder dritte Patient, der in ein Krankenhaus eingewiesen wird, ist mangelernährt. Dieser Zustand verschlechtert die Prognose und lässt das Risiko für Komplikationen ansteigen.
Entscheidend für Prognose
Übergewicht und Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind deutlich präsentere Probleme in der öffentlichen Wahrnehmung, wenn es um Ernährung geht. Das Thema Mangelernährung hat jedoch ebenfalls eine hohe Relevanz, stellte Professor Dr. med. Thomas Frieling, Krefeld, im Rahmen der Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (DGVS) klar. Der Ernährungsstatus sei für nahezu jede Erkrankung prognoserelevant, angefangen von der Krankheitsentstehung, über den Verlauf bis hin zu operativen Risiken und der Sterblichkeit. Was wir essen, beeinflusst nicht nur Verdauungsfunktionen, sondern auch die Schleimhautbarriere, das enterische Nerven- bzw. Immunsystem im Darm und die Mikrobiota.
Laut einer deutschlandweiten multizentrischen Studie war Mangelernährung im Mittel bei 27% der Neuaufnahmen in deutschen Krankenhäusern nachweisbar. Die höchste Prävalenz lag bei geriatrischen, gastroenterologischen und onkologischen Krankheitsbildern.
Screening ist simpel
Frieling nannte es einen Skandal, dass nur etwa 3% der deutschen Kliniken über ein Ernährungsteam verfügen. Als Gründe legte er Wissenslücken, aber auch ungünstige Strukturen dar. Zusammen mit seinem Team etablierte er im „Krefelder Modell“ bei jeder Patientenaufnahme ein einfaches Screening auf Mangelernährung durch das Pflegepersonal. Zur Erhebung dienen validierte Scores zum Ernährungszustand, beispielsweise das Malnutrition Universal Screening Tool (MUST), sowie die Bestimmung von BMI und Serumalbumin als Hinweis auf die Proteinzufuhr. Ergibt sich ein Verdacht auf Mangelernährung, werde ein Arzt hinzugezogen, eine interdisziplinäre Besprechung initiiert und ggf. eine Beratung oder Therapie durch das Ernährungsteam durchgeführt.
Auch adipöse Patienten können mangelernährt sein!
Insbesondere in der präoperativen Versorgung ist solch ein Screening wichtig, denn Komplikationsraten wie Infektionen, Wundheilungsstörungen, Intensivpflichtigkeit sowie die Sterblichkeit steigen eindeutig mit dem Grad der Mangelernährung. Gegebenenfalls müsse die OP verschoben werden, bis ein adäquater Ernährungszustand erreicht ist. Auch postoperativ sei weitere Aufklärung und Betreuung durch niedergelassene Ärzte im häuslichen Umfeld empfehlenswert.
Thema in Deutschland etablieren
Frieling unterstrich die Wichtigkeit, das Thema bei Fachgesellschaften zu platzieren und an die Basis zu vermitteln. Es gäbe zwar zahlreiche Untersuchungen, was eine Mangelernährung für die Prognose, Komplikationen, Verweildauer und Kosten bei vielen Erkrankungen bedeute, aber bei der Umsetzung hake es noch. So werde Mangelernährung trotz entsprechender Therapieleitlinien weiterhin nicht ausreichend erkannt und behandelt, in den Gesundheits- und Sozialetats seien für Ernährungstherapien keine Mittel vorgesehen.
Eine systematische Beschäftigung mit der sehr häufigen Mangelernährung, u. a. durch professionelle Ernährungsteams, findet in deutschen Krankenhäusern im Gegensatz zu anderen Ländern praktisch nicht statt.
Mangelernährung führe in Deutschland zu circa neun Milliarden Euro Mehrkosten pro Jahr. Regelmäßige Aufklärung, systematische Schulungen sowie eine bessere Platzierung des Themas Ernährung, angefangen schon in der Schule und Ausbildung, seien dringend nötig.
Quelle
Professor Dr. med. Thomas Frieling. “Mangelernährung in der Gastroenterologie: Oft unentdeckt und unbehandelt“. Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. „Gastroenterologische Krankheiten: Was hilft die beste Pille bei der falschen Ernährung?“ Online am 14. Juni 2023.