Wo liegt die Zukunft in der Behandlung von chronischen Wunden? Auf der Diabetes-Herbsttagung 2022 gab es einen spannenden Ausblick.
30.000 Beinamputationen pro Jahr
„Auf einem Bein kann man nicht stehen“ – das Motto der diesjährigen Diabetes Herbsttagung ist auch ganz plakativ zu verstehen. Denn Fuß-, Ober- und Unterschenkelamputationen sind noch immer ein häufiges Thema bei Diabeteserkrankungen. In Deutschland werden 30.000-mal jährlich Beine bei Diabeteskranken abgenommen, sie stellen mit 80 % die deutliche Mehrheit bei derartigen Operationen dar. Zahlen, die Dr. Berthold Amann, Berlin, Tagungspräsident der Deutschen Gesellschaft für Angiologie, deutlich senken möchte. Sein Ansatzpunkt ist die häufigste Ursache: nicht heilende Wunden an den Füßen durch diabetische Neuropathien und periphere arterielle Verschlusserkrankungen (PAVK).
Neue Ansätze zur Wundheilung
Wenn das erprobte Behandlungskonzept des diabetischen Fußsyndroms DIRA (Druckentlastung, Infektionsbekämpfung, Revaskularisierung, Amputationsvermeidung) nicht zum erhofften Erfolg führt, sind neue Therapiemethoden für chronische Wunden gefragt. Erste vielversprechende Erfahrungen, viele schmerzfrei und ohne relevante Nebenwirkungen, gibt es bereits. Aktuell bemühen sich Ärzte und Grundlagenforschende um entsprechende Evidenz, um deren Nutzen zu beweisen. Dr. Tania-Cristina Costea, Bad Oeynhausen, und Dr. Amann stellten die vielversprechendsten Methoden vor.
Zelltherapie
Diese Methode bedient sich Vorläufer- und Reparaturzellen aus dem Knochenmark oder Fettgewebe des Patienten beziehungsweise im Labor expandierter Zellpopulationen aus Patientenzellen. Das Einspritzen von solchen patienteneigenen Zellen soll die durch den Diabetes deutlich reduzierten Umgehungskreisläufe (Kollateralarterien) bei PAVK zum Wachsen anregen und so die Blutversorgung verbessern.
Die therapeutische Effizienz ist zwar noch nicht bewiesen, doch versprechen Erfahrungen, Übersichtsarbeiten und Ansprechraten von bis zu 80 % eine positive Zukunft. Aktuell forschen mehr als 100 Arbeitsgruppen weltweit an zellulär-regenerativen Therapien bei Durchblutungsstörungen.
Vampirtherapie
Ursprünglich in der ästhetischen Medizin genutzt, findet die Methode mit plättchenreichem Plasma (platelet rich plasma, PRP) zunehmend Anwendung in der Wundbehandlung. Dabei werden aus etwa 120 ml zentrifugiertem Blut des Patienten die Blutplättchen isoliert, konzentriert und anschließend auf die Wunde aufgebracht. Nach deren Aktivierung zerfallen die Plättchen und setzen gespeicherte Wachstumsfaktoren wie PDGF und TGF-ß1 in sehr hoher Konzentration frei. Gleichzeitig versiegelt das Material die Wunde.
Das Konzept scheint vor allem bei flachen, großen und bei durchblutungsgestörten Wunden gute Erfolge zu erzielen.
Kaltplasmatherapie
Durch Strom wird gasförmiges Plasma, also elektrisch geladene Teilchen oder Ionen, aus der Raumluft erzeugt. Regelmäßige Durchführung nahe der Wunde soll eine antibakterielle, antimykotische und antivirale Wirkung haben, die Proliferation von Endothelzellen sowie die Entstehung neuer Blutgefäße aus vorbestehenden Blutgefäßen (Angiogenese) anregen und so die Wundheilung fördern.
Geräte für die Selbstanwendung werden in China bereits hergestellt. Die Studienlage ist jedoch widersprüchlich und von äußerst heterogener Evidenz geprägt. Eine Arbeitsgruppe soll mithilfe von Leitlinien zur Plasmamedizin und standardisierten Anforderungen an die Geräte mehr Licht ins Dunkel bringen.
Hyperbare Sauerstofftherapie (HBO)
Bei zwei- bis dreifachem Atmosphärendruck atmen Patienten in einer Tauchkammer täglich 45 bis 120 Minuten lang über mehrere Wochen reinen Sauerstoff ein. So soll das Blut über die Lunge mit Sauerstoff angereichert und die Heilung im Fuß angeregt werden. Eine zusätzliche optimale Standardwundbehandlung ist obligatorisch.
Die HBO ist nicht nur aufgrund des Aufwands und der immensen Kosten unter Experten umstritten. Auch eine negative Cochrane-Bewertung schränkt die Perspektiven ein.
Wundauflagen
Darüber hinaus können verschiedene Wundauflagen bei Ulcera eingesetzt werden, die auf die Wunde appliziert werden, etwa aus Sucrose-Octasulfat. Ebenso stehen sogenannte dezellularisierte Matrizes tierischer Herkunft im Fokus der Forscher, also komplexe isolierte Extrazellulär-Gewebe aus verschiedenen Fasern, beispielsweise aus Fischhaut. Derartige Materialien können die Wundheilung vorantreiben und eine Chronifizierung verhindern.
Quelle
Pressestelle Diabetes Herbsttagung. 16. Diabetes Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA). 24. bis 26. November 2022.