Warum Glioblastome therapieresistent sind

Neue Ergebnisse einer Studie aus dem Journal „Cell“ geben einen detaillierten Einblick in die Ausbreitungsmechanismen einer aggressiven Gehirntumorart, dem Glioblastom. Offensichtlich kolonisieren bestimmte Glioblastom-Zellen das gesamte Gehirn, ähnlich einer Invasion. Das könnte erklären, warum sich diese Tumorart operativ nicht vollständig entfernen lässt und auch intensive Chemo- oder Strahlentherapien übersteht.

Was sind Glioblastome?

Nach der Klassifikation der WHO und der aktuellen S2k-Leitlinie sind Glioblastome (GB) meist unheilbare Tumore des zentralen Nervensystems. Die diagnostische Methode der Wahl bei einem GB-Verdacht ist die Magnetresonanztomografie. Früherkennung spielt keine Rolle. Charakteristisch für GB ist die Heterogenität der Tumorzellen – es existieren verschiedene Subzelltypen – sowie die Fähigkeit, das gesamte Gehirn zu kolonisieren. Diese beiden Eigenschaften sind dafür verantwortlich, dass GB ausgesprochen widerstandsfähig gegen die Standardbehandlung sind. Diese besteht aus operativer Entfernung, Strahlen- und/oder Chemotherapie. Obwohl eine vollständige Resektion grundsätzlich angestrebt wird, gelingt das – je nach Progressionsgrad und operativer Zugänglichkeit des Tumors – nicht immer.

Tumorzellnetzwerk = Schlüssel für Therapieresistenz

Die Autoren der vorliegenden Studie fanden heraus, dass sich eine bestimmte Subpopulation von GB-Zellen in Netzwerken organisieren kann. Dies gelingt ihnen durch die gegenseitige Verknüpfung über lange, dünne Röhren, sogenannte Microtubes. Dabei vernetzen sich die GB-Zellen nicht nur untereinander, sondern auch mit Astrozyten. Daher wird das Glioblastom teilweise auch als Astrozytom bezeichnet. Diese Röhren stellen die Basis für das tumorale Netzwerk dar, das maßgeblich für die Therapieresistenz verantwortlich ist. Darüber hinaus kann neuronale Aktivität diese Zellzusammenschlüsse aktivieren. Die Folgen sind eine erhöhte Proliferation und Invasion von GB-Zellen.

So läuft die Invasion ab

Aktuellen Ergebnissen zufolge verläuft die Kolonisierung von unverbundenen GB-Zellen entlang von Blutgefäßen, Nerven und Astrozyten. Die Autoren untersuchten auch die Rolle der Microtubes und ob diese mit anderen Röhren verbunden waren oder blind endeten. Das Ergebnis: „Blindgänger“ trugen im Vergleich zu den miteinander verbundenen Röhren maßgeblich zu einer Invasion bei. Außerdem identifizierten die Forscher drei Hauptmechanismen, wie neue Microtubes-Verzweigungen sowie darüber vernetzte GB-Zellen entstehen und die Tumorprogression vorantreiben.

  1. Protrusion (Vorwölbung)
  2. Migration (Fortbewegung)
  3. Relokation (Verlagerung)

Diese drei Mechanismen waren vergleichbar mit der Entwicklung von neuronalen Vorläuferzellen während der (kindlichen) Gehirnentwicklung.

Neuronale Aktivität verstärkt Microtubes-Wachstum

Außerdem fand das Team heraus, dass sich auf unverbundenen GB-Zellen neurogliomale Synapsen befanden. Erhielten diese Zellen neuronalen Input in Form von Calcium-Signalen, erhöhte das nicht nur das Wachstum der Microtubes, sondern auch die Durchschnittslänge der Röhren pro GB-Zelle und damit die Invasionsgeschwindigkeit. Die Entdeckung stellt einen entscheidenden Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität, Calcium-Signaltransduktion und einer von Microtubes abhängigen Tumorinvasion dar.

Das sind die 4 wichtigsten Erkenntnisse

Im Folgenden sind die Kernergebnisse der Studie zusammengefasst:

  • Es gibt verschiedene GB-Zell-Typen: Nur die unverbundenen GB-Zellen treiben die Invasion voran.
  • GB-Zellen vernetzen sich nicht nur untereinander, sondern auch mit Astrozyten (Hinweis auf Tumorprogression).
  • Unverbundene GB-Zellen tragen neurogliomale Synapsen, deren Aktivierung die Microtubes-Ausbildung und Invasion stimulieren.
  • Die GB-Zell-Invasion zeigt Parallelen zwischen neuronalen Gehirnentwicklungsmechanismen und den meist unheilbaren Glioblastomen.

Die vorgestellten Ergebnisse geben einen grundlegenden und detaillierten Einblick in die Ausbreitungsmechanismen der Gehirntumore. Sie erweitern das bisherige Konzept von einem homogenen hin zu einem weitaus heterogenen Tumornetzwerk aus GB-Zellen und Astrozyten und liefern erstmals einen plausiblen Erklärungsansatz für diese meist unheilbare Tumorart. Nun gilt es, durch zukünftige Forschungsarbeiten eine pharmakologische Blockade zu entwickeln, die hoffentlich die Verbindung zwischen Astrozyten und GB-Zellen trennen kann.

Quelle

Venkataramani V, et al. Glioblastoma hijacks neuronal mechanisms for brain invasion. Cell 2022;185:2899–917; doi: 10.1016/j.cell.2022.06.054.