Viele Beteiligte, viele Risikofaktoren: Wenn Medikation nicht einwandfrei funktioniert, entstehen ernsthafte Folgen für Patienten. Ein Blick auf die aktuelle Situation und Verbesserungsmöglichkeiten am Welttag der Patientensicherheit.
Der Welttag der Patientensicherheit am 17. September 2022 steht unter dem Motto „Sichere Medikation“. Auf einer Pressekonferenz sprachen Experten über Mängel und Möglichkeiten diese zu beheben.
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Ein Blick auf die Zahlen unterstreicht die Bedeutung: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen führen laut Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) jedes Jahr zu etwa 250.000 Krankenhauseinweisungen, ungefähr 5 % aller Fälle. Eine norwegische Studie kam zu dem Ergebnis, dass mehr als 18 % der Todesfälle im Krankenhaus auf ein oder mehrere Medikamente zurückgeführt werden können.
Mehr als die Hälfte aller arzneimittelbezogenen Krankenhausaufnahmen wären vermeidbar.
Risiko Medikationsfehler
40 % der Patienten, die drei oder mehr Arzneimittel einnehmen, haben sie schon einmal vergessen, zum falschen Zeitpunkt eingenommen oder Präparate verwechselt. Medikationsfehler sind weltweit eine der Hauptursachen für vermeidbare Schäden im Gesundheitswesen. Das passiere schnell, wenn nicht alle Informationen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind, um etwa die richtige Dosis auszuwählen, oder wenn Medikamente ähnlich klingen oder aussehen. Zudem können Fehler durch Personalmangel oder ungenügende Prozessstandards entstehen.
Verbesserungsbedarf bei Medikationsplänen
Die Anzahl von Patienten, die bei stationärer Aufnahme einen bundeseinheitlichen, aktuellen und vollständigen Medikationsplan mitbrachten, betrug in Studien zwischen 13 und 19 %. Zudem war die Fehlerquote auf den Plänen hoch, nur bei 6,5 % der Patienten entsprach der Plan der tatsächlichen Einnahmepraxis. Nicht mehr eingenommene, fehlende Mittel oder abweichende Dosierungen waren an der Tagesordnung. In der Folge entstehen Probleme wie Wechselwirkungen, Überversorgung und eine unklare Anwendung der Arzneimittel. Hier gäbe es aus Sicht der APS viel Potenzial, beispielsweise sollte ein Medikationsplan auch eine zweiwöchige Einnahme berücksichtigen können.
Arzneimitteltherapiesicherheit funktioniert nur im Team! Ein Schlüssel für mehr Patientensicherheit in der Arzneimitteltherapie ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern und den Angehörigen der Pflegeberufe.
Gefährdung durch Lieferengpässe
Das German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG) sieht ein zusätzliches Risiko durch kurzfristig auftretende Lieferausfälle. Betreffen diese essenziell wichtige Arzneimittel, wie bei Tamoxifen geschehen, sehen die Experten eine ernsthafte Gefährdung. GBCOG-Vertreter fordern eine transparentere schnelle Kommunikation bei Lieferengpässen. Für eine nachhaltige Versorgungssicherheit sei eine Neuausrichtung nötig, die unabhängig von Preis- und Rabattdruck funktioniere, und stattdessen eine Skalierbarkeit bietet, die Schaden von den Patientinnen abwendet.
Digitalisierung als Chance
Digitalisierung kann die Patientensicherheit in vielerlei Hinsicht unterstützen, indem sie zentrale Sicherheitsproblemen wie Patientenverwechslung oder falsche Medikamentengabe mittels digitalisierter Prozesse verbessert. Beispiele seien das E-Rezept, eine bedarfsgerechte elektronische Erfassung und Dokumentation der Arzneimitteltherapie, Verordnungssoftware und die individuelle Verblisterung, also die individuelle Zusammenstellung der Medikamente für die einzelnen Patienten. Das APS nannte außerdem nützliche Werkzeuge wie die elektronische Patientenakte (ePA), die einen zentralen Zugriff auf relevante Infos zu einem Patienten ermöglicht, etwa zu Begleiterkrankungen und früheren Arzneimitteleinnahme. Darüber hinaus können Radio Frequency Identification (RFID) und Barcodes mehr Sicherheit schaffen, Blutkonserven, Medikamente und Behandlungslisten eindeutig zuzuordnen.
Tipps für Patienten
Constantin Grosch, stellvertretender APS-Vorsitzender, wies auf die Eigenverantwortung von Patienten hin. Mit Materialien und Informationen können diese unterstützt werden und selbst aktiv zu einer sicheren Versorgung beitragen. Für eine korrekte Einnahme sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen: Dosis, Uhrzeit, die richtige Einbindung in die tägliche Routine, Wechselwirkung mit Lebensmitteln oder anderen Medikamenten sowie die korrekte Lagerung. Bei komplizierteren Einnahmen können Schulungen oder Hilfsmittel weiterhelfen, beispielsweise Tablettenausdrücker und Lupen, eine Erinnerungsfunktion im Mobiltelefon oder manuelle Applikationshilfen. Außerdem sollte im Patientengespräch genug Raum für Berichte zu Problemen und Nebenwirkungen sowie Rückfragen sein. Eine gelebte Sicherheitskultur und risikobasiertes Denken tragen großes Potenzial vor diesem Hintergrund.
Quellen
Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS). Hybrid-Pressekonferenz anlässlich des Welttags der Patientensicherheit 2022 „Wie sicher ist die Arzneimitteltherapie? Mach Dich stark für Patientensicherheit: Sichere Medikation“. 14. September 2022, Berlin.
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. Pressemitteilung zum Tag der Patientensicherheit zur „Sicheren Medikation“: Kritische Sicht der gynäkologischen Fachverbände. 13. September 2022.