Wie wirken sich Levothyroxin (T4) und Triodthyronin (T3) auf das Herz und Fettgewebe aus? Und wie beeinflussen Schilddrüsenfunktionsstörungen eigentlich das kardiovaskuläre Risiko?
Auf dem pharmazeutischen eKongress der diesjährigen INTERPHARM referierte Privatdozentin Dr. Susanne Ammon-Treiber, Tübingen, in ihrem Vortrag „Liegt es an der Schilddrüse? – Auswirkungen von Schilddrüsenfunktionsstörungen“ darüber, wie eine gestörte Schilddrüsenfunktion unter anderem das kardiovaskuläre System und den Energiestoffwechsel beeinflussen kann. Im Fokus der vielfältigen Schilddrüsenfunktionsstörungen lag dabei die Hyperthyreose.
Physiologische Wirkungen sind mannigfaltig
Schilddrüsenhormone sind – insbesondere postnatal – essenziell für diverse Reifungs-, Differenzierungs- und Stoffwechselvorgänge im gesamten menschlichen Körper. Sie nehmen Einfluss auf unterschiedlichste Organe, darunter den Darm (motilitätsfördernd), die Leber (Stimulation der Glykogenolyse, Gluconeogenese und Glykolyse) und die Knochen (Erhöhung des Knochenumsatzes). Außerdem wirken sie sich auf das Nervensystem aus, indem sie die neuromuskuläre Erregbarkeit erhöhen, was ganz besonders wichtig für die physische und psychische Kindsentwicklung ist. Insgesamt sind diese Hormone sowohl für den ausgewachsenen als auch für den heranwachsenden Organismus sehr bedeutsam.
Schilddrüse und Herz
Levothyroxin (T4) wird durch verschiedene Deiodasen in das biologisch aktive Triiodthyronin (T3) umgewandelt und unter anderem in die Myozyten des Herzens transportiert. Unter dem Einfluss von T3 steigt die Expression von Ca2+-Ionenkanälen am Herzen, der Na+/K+-ATPase und der β1-adrenergen Rezeptoren. Am Herzen wirken Schilddrüsenhormone positiv chronotrop und inotrop, das heißt, sie steigern sowohl die Herzfrequenz als auch die Kontraktionskraft. Folglich sind diese beiden Parameter sowie der systolische Blutdruck bei einer Hyperthyreose erhöht. Kardiovaskuläre Auswirkungen, die sich daraus – insbesondere bei Älteren und solchen mit bereits vorgeschädigten Herzen – ergeben, sind:
- Tachykardie
- Hypertonie
- Verschlechterung einer bestehenden koronaren Herzerkrankung
- Verschlechterung einer bestehenden Herzinsuffizienz und
- erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern (VHF)
Bei 10 bis 25 % der Patienten mit manifester Hyperthyreose lässt sich häufig auch die Diagnose eines permanenten VHF stellen. Daneben gibt es Hinweise darauf, dass auch die latente (subklinische) Hyperthyreose mit VHF assoziiert ist. Insgesamt steigt dadurch das Risiko für einen kardioembolischen Schlaganfall, das mit dem CHA2DS2-VASc-Score abgeschätzt werden kann. Ammon-Treiber betonte, dass bei älteren Patienten mit VHF immer auch an eine Hyperthyreose als Ursache gedacht werden sollte.
Latent oder manifest?
Der TSH-Wert (Thyroid-stimulierendes Hormon, Thyrotropin) ist der zentrale Screening-Marker bei symptombedingtem Verdacht auf eine Schilddrüsenerkrankung. Im Rahmen der Basisdiagnostik werden zusätzlich die freien Konzentrationen von T3 und T4 bestimmt. Im Gegensatz dazu zählen die Bestimmung der TSH-Rezeptor- oder Thyreoperoxidase-Antikörper, des Thyreoglobulins und Calcitonins aus den Nebenschilddrüsen zur weiterführenden Diagnostik und werden nicht standardmäßig durchgeführt. Eine latente Funktionsstörung liegt vor, wenn der TSH-Wert außerhalb des Referenzbereichs (0,4 – 4,0 mU/l) liegt, freies T3 und T4 aber noch normal sind. Dagegen sind bei einer manifesten Funktionsstörung die T3– und T4-Konzentrationen erhöht (Hyperthyreose) oder erniedrigt (Hypothyreose).
„Interessant sind die Auswirkungen auf das Fettgewebe.“
Im Fettgewebe führen T3 und T4 zu einer erhöhten Lipolyse und Lipidmobilisierung. Unterschieden werden das weiße Fettgewebe als Speicherform für die Energiebereitstellung und das braune Fettgewebe. Lange Zeit bestand die Annahme, dass Letzteres nur bei Kindern, nicht jedoch im Erwachsenenalter relevant ist. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass auch Erwachsene zwar einen geringen, aber vorhandenen Anteil an braunem Fettgewebe aufweisen, das an der Thermoregulation beteiligt ist. Hier greifen die Schilddrüsenhormone ebenfalls an und triggern die Umwandlung von weißem in braunes Fettgewebe. Letzteres erfolgt durch die erhöhte Expression des Uncoupling Proteins (UCP), an die sich die Lipolyse im braunen Fettgewebe anschließt. UCP, auch Thermogenin genannt, ist ein transmembranäres Protein, das in den Mitochondrien des braunen Fettgewebes lokalisiert ist. Die Aktivierung von UCP sorgt dafür, dass die durch Zellatmung gewonnene Energie durch Entkoppelung von der oxidativen Phosphorylierung – also ohne die Bildung von Adenosintriphosphat (ATP) – unmittelbar in Wärme umgewandelt wird (Dissipation).
Zielwerte an der Lebensqualität orientieren
Ammon-Treiber betonte, dass sich die Bewertung des individuellen TSH-Werts am Lebensalter, den klinischen Symptomen und Komorbidität, dem Body-Mass-Index und vor allem dem allgemeinen Wohlbefinden des Patienten orientiere. Primäres Ziel sollte nicht das Erreichen definierter Literaturwerte (TSH-Referenzbereich 0,4 – 4,0 mU/l), sondern eine hohe Lebensqualität sein. Die Ausprägung der Symptome kann stark variieren, ist individuell und abhängig vom Lebensalter. Ältere hätten Ammon-Treiber zufolge häufig erhöhte TSH-Werte. Das alleine stellte aber nicht eine automatische Behandlungsindikation dar, dafür müssten zusätzlich Symptome vorliegen. In der Schwangerschaft werden trimesterspezifische TSH-Werte angestrebt, da das zu Beginn der Schwangerschaft von der Placenta produzierte β-HCG (humanes Choriogonadotropin) den TSH-Rezeptor in gewissem Ausmaß stimuliere, so Ammon-Treiber.
Quelle
- INTERPHARM 2022, Liegt es an der Schilddrüse? – Auswirkungen von Schilddrüsenfunktionsstörungen, PD Dr. Susanne Ammon-Treiber, 25. März 2022