Derzeit wird Tinnitus in erster Linie anhand von individuellen Faktoren und Begleitsymptomen diagnostiziert. Eine aktuelle Studie zeigt nun jedoch auch eine mögliche objektive Messmethode für die störenden Ohrgeräusche.
Tinnitus meist subjektiv
Ein chronischer Tinnitus umfasst über mindestens drei Monate andauernde Ohrgeräusche, die Betroffene als Piepsen, Pfeifen oder auch Rauschen wahrnehmen können. Diese Geräusche sind häufig sehr belastend für die Patienten. Allerdings ist der Tinnitus kein einheitliches Krankheitsbild, sodass bei der Diagnostik die individuellen Entstehungsfaktoren und Begleitsymptome identifiziert werden müssen, an denen sich dann wiederum die Therapie orientiert.
In den seltensten Fällen handelt es sich um einen sogenannten objektiven Tinnitus, bei dem Körpereigengeräusche (z.B. Pulsationen des Gefäßsystems) gehört werden. Meist liegt ein subjektiver Tinnitus vor, bei dem weder äußere noch körpereigene Geräuschquellen Ursache für das Ohrgeräusch sind.
Die Belastung und der Schweregrad sind ebenfalls keine objektiv bestimmbaren Parameter, sondern werden durch Fragebögen – also Selbstauskünfte – ermittelt.
Hirnstammaudiometrie zeigt Abweichungen
Eine Forschungsgruppe hat nun in einer Studie mit etwa 400 Teilnehmern herausgefunden, dass bei Patienten mit chronischem Tinnitus mithilfe der Hirnstammaudiometrie gemessene Potenziale ein anderes Muster aufweisen als diejenigen von Menschen ohne oder mit nur gelegentlichem Tinnitus.
Zur Messung dieser sogenannten frühen akustisch evozierten Potentiale werden die Patienten über Kopfhörer Geräuschen ausgesetzt (meist Clickreiz). Die elektrischen Signale in der Hörbahn werden über Elektroden abgeleitet. Die Hörbahn generiert fünf Wellen und in einer dieser Wellen (Welle V) zeigte sich bei Tinnitus-Patienten eine Verzögerung gegenüber Menschen ohne Tinnitus.
Eine solche objektive Messmethode ist nicht nur für die Diagnostik, sondern auch für die Entwicklung neuer Therapien wichtig, so die Forscher, denn sie ermöglicht es, Behandlungserfolge besser zu bestimmen und zu belegen.
Überdies stellten die Forscher fest, dass ein gelegentlicher Tinnitus umso häufiger zum chronischen Tinnitus wurde, je häufiger er auftrat (Risiko für Progression zur chronischen Form: adjusted Odds-Ratio [aOR] bei seltenem Tinnitus 5,62; aOR bei häufigem Tinnitus 29,74; jeweils p<0,0001).
Aktualisierte Leitlinie
Bislang sind solche Messmethoden jedoch nicht in der Praxis angekommen. Somit beruhen Diagnose und Therapie nach wie vor in erster Linie auf individuellen Faktoren.
In der im letzten Jahr aktualisierten S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus unter Federführung der Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. werden allerdings einige Therapien allgemein empfohlen (PDF):
- Psychotherapeutische Interventionen
- Hörverbessernde Maßnahmen
- Counselling
Genauso gibt es Behandlungen, die von der Leitlinie wegen mangelnder Evidenz nicht empfohlen werden:
- Medikamentöse Behandlung des Tinnitus einschließlich Nahrungsergänzungsmittel
- Soundtherapien und Musiktherapien
- Neuromodulationen wie transkranielle Magnetstimulation oder elektrische Stimulation
Basis der Therapie sollte das Counselling sein, also die auf die Diagnostik gestützte Beratung und Aufklärung der Patienten. Dabei werden dem Patienten unter anderem Umgangsstrategien mit der Erkrankung an die Hand gegeben.
Quellen
- Edvall NK, et al. Alterations in auditory brainstem response distinguish occasional and constant tinnitus. J Clin Invest 2022. https://doi.org/10.1172/JCI155094.
- Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V (Herausgeber). S3-Leitlinie Chronischer Tinnitus. AWMF-Register-Nr. 017/064. Stand September 2021 (PDF).