Leitlinien liefern keine unumstößlichen Empfehlungen

Ein Review mit 34 Leilinien zur Bluthochdrucktherapie zeigte, dass Empfehlungen insbesondere für ältere Menschen sehr heterogen und Behandlungsziele nicht einheitlich definiert sind.

Evidenz in Leitlinien zu übersetzen ist schwierig

Über die idealen Zielwerte einer Hypertonietherapie bei Älteren wird viel diskutiert und es herrscht bisher keine Einigkeit. Zwar gibt es (Teil-)Studien zu diesem Thema – ein prominentes Beispiel der letzten Jahre ist sicher die SPRINT-Studie mit zahlreichen Subgruppenanalysen. Diese vorhandene Evidenz aber in Leitlinien umzusetzen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Daraus resultieren unterschiedliche Empfehlungen in den verschiedenen Leitlinien. So auch bei den Zielwerten einer Blutdrucktherapie.

Besonders herausfordernd ist dies für ältere Patienten. Insgesamt sind ältere Menschen in den klinischen Studien zur Bluthochdrucktherapie unterrepräsentiert: Über 80-Jährige nehmen selten teil und sind sie überdies auch noch gebrechlich und komorbid, werden sie in der Regel aus den Studien ausgeschlossen. Spezielle Studien zur Blutdrucktherapie bei gebrechlichen älteren Menschen gibt es bisher gar nicht. In vielen Studien wird eine intensive blutdrucksenkende Therapie angestrebt, auch bei älteren Menschen – gleichzeitig ist diese Gruppe aber besonders anfällig für schwere Nebenwirkungen.

Eine europäische Forschungsgruppe hat in einem Review nun die Empfehlungen zur Blutdrucktherapie bei Älteren aus 34 Leitlinien zusammengefasst und ausgewertet.

Nicht überall altersspezifische Empfehlungen

32 der 34 Leitlinien beinhalteten sowohl einen Grenzwert zum Start einer antihypertensiven Therapie sowie einen korrespondierenden Zielwert. Nur 23 nannten alters- bzw. von der Gebrechlichkeit abhängige Schwellenwerte für einen Behandlungsstart bzw. wiesen explizit darauf hin, dass die Empfehlungen für alle Altersgruppen gleichermaßen gelten.

Die bei den Empfehlungen angegebenen Altersgrenzen waren bei den Leitlinien unterschiedlich:

  • ≥60–65 Jahre (7 Studien)
  • ≥60–65 und ≥80 Jahre (7 Studien)
  • ≥80 Jahre (4 Studien)
  • ≥75 Jahre (2 Studien)
  • „ältere” Patienten ohne genaue Angabe (3 Studien)

Widersprüchliche Empfehlungen in verschiedenen Leitlinien

Tatsächlich fanden die Autoren in den verschiedenen Leitlinien inkonsistente Vorschläge zur Blutdrucktherapie bei über 80-Jährigen:

  • 20 Leitlinien empfehlen für über 80-Jährige höhere Blutdruckwerte als für die Allgemeinbevölkerung, 3 streben niedrigere Werte an.
  • 18 Leitlinien setzen <150 mmHg systolisch als Ziel an, 4 raten zu Werten unter 130 oder 120 mmHg.
  • 3 Leitlinien beinhalten spezifische Grenzwerte, die die Gebrechlichkeit der Patienten einbeziehen.

Einzelne der Leitlinien beinhalten zusätzliche Hinweise zu den Zielwerten, beispielsweise eine Therapie nur bei guter Verträglichkeit fortzuführen oder die Behandlung bei Menschen mit zahlreichen Begleiterkrankungen oder Demenz nicht strikt an empfohlenen Werten, sondern an individuellen Behandlungszielen zu orientieren.

Insgesamt seien alle Empfehlungen vorrangig am chronologischen Alter und nicht am biologischen Alter orientiert, so die Autoren. Leitlinien seien eigentlich als Standardisierung gedacht und möglicherweise sei diese besser erreichbar, wenn sich Leitlinien mehr auf den Zustand des Patienten als auf das chronologische Alter fokussieren, da die Gruppe der chronologisch alten Menschen gesundheitlich meist sehr heterogen ist.

Quelle

Bogaerts JMK, et al. Do we AGREE on the targets of antihypertensive drug treatment in older adults: a systematic review of guidelines on primary prevention of cardiovascular diseases. Age and Ageing 2021;1–14. https://doi.org/10.1093/ageing/afab192