COVID-19; Originalbild: Eisenhans/Adobe Stock

Zurückgezogene Studie weiterhin zitiert

Zu kaum einem Thema wurden in so kurzer Zeit so viele Artikel publiziert wie zu COVID-19. Bei derartigen Schnellschüssen verwundert es wenig, dass einige Beiträge zurückgezogen werden mussten. So auch eine hochrangig publizierte Studie im NEJM, die jedoch nicht völlig von der Bildfläche verschwand, sondern weiterhin fleißig zitiert wurde.

Impact Factor schützt vor Fehlern nicht

In einem Research Letter im JAMA Internal Medicine haben Wissenschaftler untersucht, ob eine zurückgezogene Veröffentlichung weiterhin Eingang in andere Publikationen fand. Dazu wählten sie eine ursprünglich hochrangig publizierte Studie zu Covid-19 und kardiovaskulären Erkrankungen und deren Therapie aus (Mehra MR, et al. Cardiovascular Disease, Drug Therapy, and Mortality in Covid-19).

Die Wissenschaftler hatten unter anderem diese Studie für ihre Untersuchung ausgewählt, da sie bereits kurz nach Veröffentlichung wieder zurückgezogen (veröffentlicht 01.05.2020, zurückgezogen 04.06.2020) wurde und sie überdies große mediale Aufmerksamkeit erhielt.

Studie vielfach zitiert

In 934 Artikeln wurde besagte Studie zitiert. Preprints, Dopplungen und fehlende Volltexte wurden aussortiert und so blieben 652 Artikel für die Auswertung übrig:

  • 70 (10,7%) davon erschienen, bevor die Studie zurückgezogen worden war
  • 227 (34,8%) zitierten die Studie innerhalb von 2 Monaten nach dem Zurückziehen
  • 355 (54,4%) erschienen 3 Monate oder später (181 davon sogar 6 Monate oder später)

Auch ein knappes Jahr später – im Mai 2021 – wurde die Studie immer noch in 21 Artikeln zitiert. Nur 115 (17,6%) hatten bei der Zitierung in irgendeiner Form vermerkt, dass die Studie zurückgezogen worden war.

Meistens war die Studie zitiert worden, um eigene Statements im Text zu untermauern. Bei 17 Arbeiten waren jedoch die Daten der zurückgezogenen Studie in neue Analysen mit einbezogen worden.

Resümee der Autoren

Die Autoren räumen Limitationen ihrer Untersuchungen ein, nämlich, dass nur eine zurückgezogene Studie untersucht und nur eine Suchmaschine (Google Scholar) benutzt wurde. Unabhängig davon dürfe jedoch bei sorgfältiger Arbeit eine zurückgezogene Studie nicht mehr Monate später immer noch zitiert werden, geschweige denn in neue Analysen einbezogen werden.

Diese Ergebnisse sollten Autoren, Reviewer, Redakteure und wissenschaftliche Institutionen daran erinnern, ordentlich zu arbeiten, um den guten Ruf medizinischer Fachliteratur nicht zu schädigen.

Kommentar

Die Untersuchung zeigt einmal mehr, wie schwer es ist, einmal Gesagtes wieder einzufangen. Erfahrungsgemäß halten sich solche Veröffentlichung trotz Zurückziehen lange im kollektiven Gedächtnis. Man denke an die berühmt-berüchtigte Wakefield-Studie (Autismus nach Masernimpfung), die immer noch gerne von Impfgegnern als Argument für ihre Ablehnung von Impfungen hervorgeholt wird.

Umso wichtiger ist es, Daten vor Veröffentlichung genau zu prüfen und so lieber darauf zu verzichten, breite mediale Aufmerksamkeit zu erlangen als möglicherweise lange kursierende Fehlinformationen zu produzieren.

Quelle

Lee TC, et al. Ongoing Citations of a Retracted Study Involving Cardiovascular Disease, Drug Therapy, and Mortality in COVID-19, Published Online: August 2, 2021. doi:10.1001/jamainternmed.2021.4112