Rückenschmerzen werden nach wie vor oft als nichtspezifisch eingestuft. Beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag, der vom 9. bis 13. März online stattgefunden hat, ging Prof. Dr. Stephan Klessinger, Ulm, der Frage nach, wie häufig diese wirklich sind oder ob sich doch öfter als gedacht spezifische Ursachen für die Schmerzen finden lassen.
4 von 5 Rückenschmerz-Patienten ohne Ursache?
Laut der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) zum nichtspezifischen Kreuzschmerz handelt es sich um nichtspezifische Rückenschmerzen, wenn sich keine eindeutigen Hinweise auf eine zu behandelnde Ursache erkennen lassen. Doch wie häufig ist diese Art von Rückenschmerz? In einigen Quellen wird die Prävalenz mit 80 bis 90 % (z.B. Die Wirbelsäule; Gesundheitsberichterstattung des Bundes [PDF]) oder ungenau mit Umschreibungen wie „hohe Prävalenz“ (z.B. NVL) angegeben.
Diese Zahl sollte uns überraschen. Wieso sollte es am Rücken so viel anders sein als am Kniegelenk oder Schultergelenk?
Ob diese Zahlen also wirklich korrekt sind, sei fraglich, schließlich gebe es auch im Rücken genügend Strukturen, die als Auslöser der Schmerzen infrage kommen. Möglichweise lassen sich also doch für mehr als 10 bis 20% der Fälle spezifische Ursachen finden.
Wie aktuell ist die Evidenz?
Zwei Quellen, die zwar in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes genannt werden, können diese Zahlen aber nicht belegen:
- Die eine geht von etwa 60% nichtspezifischer Rückenschmerzen aus
- Die andere bemängelt, dass es gar keine Evidenz für den idiopathischen Rückenschmerz gibt und dass eine spezifische Diagnose extrem wichtig sei
Die Angabe von 80 bis 90 % nichtspezifischer Rückenschmerzen geht tatsächlich auf eine über 50 Jahre alte, kleine Studie aus einer einzigen Arztpraxis zurück, so Klessinger. Das entspricht jedoch nicht dem heutigen Standard: Gefordert ist die Nutzung aktueller Evidenz und eine gründliche Diagnostik mithilfe von moderner Technik.
Keine neuen Optionen seit den 60er-Jahren?
Seit den 60er-Jahren hat sich beispielsweise viel im Bereich der Bildgebung getan. Allerdings macht auch ein MRT allein Schmerzen nicht sichtbar. Oder es kann pathologische Befunde offenbaren bei Patienten, die keinerlei Beschwerden haben. Weitere Möglichkeiten, um den Ursprung der Schmerzen zu finden, sind sogenannte diagnostische Injektionen (Beispiele):
- Discographie (Kontrastmittel wird direkt in die Bandscheibe injiziert)
- Intraartikuläre Injektionen in das Iliosakralgelenk
- Diagnostische Nervenblockaden
- Anästhetika-Injektionen
- Perkutane Vertebroplastie (minimalinvasives Verfahren zur Behandlung von Wirbelkörperfrakturen, bei dem der Wirbel von innen mit Knochenzement gefüllt wird)
In einer aktuelleren Untersuchung konnten mithilfe solcher Verfahren deutlich mehr spezifische als nichtspezifische Rückenschmerzen identifiziert werden. So ließen sich 42 % der Schmerzen auf die Bandscheibe, 18% auf das Iliosakralgelenk-Syndrom und 31% auf das Facettengelenksyndrom zurückführen.
Bei jüngeren Menschen war am häufigsten die Bandscheibe ursächlich, während Iliosakralgelenk– und Facettengelenksyndrom als degenerative Erkrankungen vor allem im höheren Alter anzutreffen waren.
Die sorgfältige Diagnostik ist in jedem Fall entscheidend, denn findet sich eine spezifische Ursache, gibt es häufig auch eine spezifische Therapie (siehe auch Leitlinie „Spezifischer Kreuzschmerz“).
Quelle
Häufigkeit und Ursachen nicht-spezifischer Rückenschmerzen; Prof. Dr. Stephan Klessinger. Deutscher Schmerz- und Palliativtag vom 9. bis 13. März 2021 online.