Auf der Online-Pressekonferenz „Digitales Medizinisches Wissensmanagement“ anlässlich des Berliner Forums der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) wurde das Projekt der AWMF zur Digitalisierung von Leitlinienwissen vorgestellt.
Online ist nicht digital
Natürlich sind die AWMF-Leitlinien online abrufbar – das alleine macht sie jedoch nicht digital. Im Prinzip sind es digitale Bücher, so Prof. Dr. Ina Kopp, Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWi). Aus diesen kann im Akutfall (z.B. am Patientenbett) Wissen jedoch nicht spontan und passgenau abgerufen werden.
Daher hat die AWMF 2018 ein Projekt zur Digitalisierung von Leitlinien begonnen. Evidenzbasierte Leitlinien haben im Gesundheitssystem eine besondere Bedeutung und sind heute unverzichtbare Grundlage für Diagnose und Therapie.
Derzeit sind es etwa 800, 150 davon mit höchstem Evidenzgrad, die trotzdem ständig überprüft und weiterentwickelt werden müssen. Zudem kommen stetig neue hinzu.
Prof. Dr. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF, betonte, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen vor allem durch die medizinische Wissenschaft gestaltet werden muss und nicht vorrangig durch große Konzerne.
Wissen nutzbar machen
Grundlage wird ein strukturiertes modulares Datenmodell sein, das ermöglichen soll, zum einen die Erstellung und Verwaltung von Leitlinien zu erleichtern und zum anderen das Wissen für Nutzer schneller und strukturierter zugänglich zu machen. Das heißt, es soll nicht nur die Entwicklung von Leitlinien, sondern auch die Verbreitung unterstützt werden.
Beispielsweise müssen bei der Erstellung immer mehr wissenschaftliche Publikationen ausgewertet werden und das Management von Interessenkonflikten wird komplexer. Am Patientenbett wiederum ist keine Zeit, in einer 400-seitigen Leitlinie nach einzelnen Informationen zu suchen.
Des Weiteren braucht es entsprechende Schnittstellen, um das aufbereitete vertrauenswürdige Wissen aus qualitätsgesicherten Leitlinien in Anwendungen wie der elektronischen Patientenakte, digitalen Lernplattformen oder Gesundheits-Apps abrufbar zu machen.
Der Weg dorthin
Diese Mammutaufgabe ist jedoch nicht von heute auf morgen umsetzbar, so Kopp. Daher strebt die AWMF eine schrittweise Umsetzung. Beispielsweise sollen Templates für Leitlinien bereitgestellt werden und Interessen der Autoren werden digital gemanagt.
Auch Projekte aus dem Ausland wurden genauer betrachtet, ob sie sich als Blaupause eignen. Insgesamt steht ein internationaler Entwicklungsprozess dahinter und der internationale Konsens, ein umfassendes Modell für digitales Wissensmanagement umzusetzen.
Es geht nur miteinander. Die Aufgabe ist so groß!
Finnland beispielsweise ist sehr weit vorangegangen mit seiner umfassenden elektronischen Patientenakte, die von Patienten selbst verwaltet wird. 90% haben die Akte freiwillig angenommen und bestimmen selbst, was geführt und geteilt wird. Empfehlungen aus Leitlinien sind ebenfalls integriert und viele Daten für nationale Register werden freiwillig gespendet.
Hier sind erste Leitlinien auf dem Weg, die in Kooperation mit dem Norwegischen Leitlinienportal der norwegischen Non-Profit-Organisation MAGIC Foundation umgesetzt werden.
Chance für Patienten
Auch für Selbsthilfegruppen und somit für Patienten und Bürger bietet die Digitalisierung neue Chancen und Perspektiven erläuterte Miriam Walther, Diplom-Politologin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin NAKOS (Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen).
Digitale Angebote mit strukturiertem Wissen bieten Sicherheit für Patienten. Diese können sonst bei einer Flut von Informationen im Internet oft nicht bewerten, welche Quellen seriös und vertrauenswürdig sind. Überdies erreicht man mit anonymen Onlineforen auch diejenigen, für die die Hemmschwelle eine Selbsthilfegruppe vor Ort aufzusuchen, zu groß ist.
Immer prüfen, ob digitale Instrumente an Bedürfnisse andocken!
Walther sieht die Chance für ein Nebeneinander von digitalen und Face-to-Face-Angeboten in der Selbsthilfe, denn auch bei vermeintlich digital affinen Jüngeren sind persönliche Treffen nach wie vor erwünscht.