„Mehr Wissenschaft, mehr Hoffnung“

So lautete das Motto der gemeinsamen Jahrestagung 2020 der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, die vom 9. bis 11. Oktober stattfand – wie die meisten Kongresse in diesem Jahr virtuell. Auf der Pressekonferenz am Kongress-Samstag stellten führende Mitglieder der onkologisch-hämatologischen Gesellschaften Highlight des Kongresses vor und diskutierten über die Herausforderungen, die die Corona-Pandemie für die Onkologie mit sich bringt.

… oder „Mehr Wissen schafft mehr Hoffung“

Zum Kongressmotto sagte der diesjährige Kongresspräsident der Jahrestagung, Prof. Dr. med. Markus Manz, Zürich, es könne auch als „mehr Wissen schafft mehr Hoffnung“ gelesen werden. Man lerne stetig dazu und Konzepte müssten immer wieder neu justiert werden. Viel tut sich derzeit im Bereich der Präzisionsonkologie, Tumoren können heute tief charakterisiert werden. Die Therapie mit CAR-T-Zellen gewinnt mehr an Bedeutung. Und doch gibt es noch viele Lücken – Beispiel „Gender-Gap“, ein Thema, dem am Kongress-Samstag mit „Gender-Medizin trifft Onkologie“ ein eigener Slot gewidmet war.

„Die Corona-Pandemie hat auch in der Onkologie Spuren hinterlassen“

Pandemiebedingt ging im Frühjahr 2020 die Zahl der Brust- oder Darmkrebsneudiagnosen zurück, was vermutlich vor allem an verschobenen Früherkennungsuntersuchungen lag. Im Spätsommer, als  vermehrt gescreent wurde, stiegen die Zahlen wieder. Bei akut lebensbedrohlichen Krebserkrankungen wie Leukämien fand sich kein Einbruch in der Zahl der Neudiagnosen durch die Pandemie.

Prof. Dr. med. Lorenz Trümper, Göttingen, nannte als derzeitige Herausforderungen in der Onkologie, Patienten vor Ansteckung zu schützen, ihnen trotz Pandemie Zugang zu onkologischen Therapien zu sichern und diese auch im Infektionsfall weiterzuführen. Das gleiche gelte für Anschlussbehandlungen: Werden Rehas verschoben, habe das langfristige Folgen für die Patienten.

Welche Patienten sind besonders gefährdet?

Welche Krebspatienten besonders gefährdet sind, geht aus einer Untersuchung aus Großbritannien hervor, die auf dem ESMO 2020 vorgestellt wurde. Krebspatienten zeigen demnach eine höhere 30-Tage-Sterblichkeit als COVID-19-Patienten ohne Krebs (41% vs. 29%; Hazard-Ratio [HR] 1,62; p<0,001). Junge COVID-19-Patienten haben zwar ein geringeres Sterberisiko als ältere Patienten, doch der Unterschied zwischen onkologischen zu nichtonkologischen Patienten ist viel größer als bei älteren Patienten (<50 Jahre: HR 4,09; >80 Jahre: HR 1,17; jeweils p<0,001).

Besonders gefährdet sind Patienten mit

  • geschwächtem Immunsystem, z.B. durch Leukämien
  • malignem Lymphom mit aktiver Erkrankung
  • niedriger Zahl weißer Blutkörperchen
  • niedrigen Immunglobolinwerten
  • andauernder Unterdrückung des Immunsystems, etwa durch Glucocorticoide, allogene Stammzelltransplantation und andere zelluläre Therapien

Trümper betonte, dass Patienten mit chronischer und gut beherrschbarer Krebserkrankung oder nach erfolgreicher Erstbehandlung in der Regel kein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, wenn sie sich mit SARS-CoV2 infizieren sollten. Bei älteren Patienten bestimmen vermutlich andere Begleitfaktoren das Sterberisiko mehr als die Krebserkrankung.

Entscheidungen über Verzögerungen oder Änderungen einer Krebstherapie müssen individuell mit Abwägung von Nutzen und Schaden getroffen werden.

„Die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus darf die Bekämpfung einer bereits existierenden, lebensgefährlichen Blut- oder Krebserkrankung nicht beeinträchtigen.“

Best Abstracts

Prof. Dr. Markus Borner, Bern, gab auf der Pressekonferenz die „Best Abstracts“ der Jahrestagung bekannt.

FLYSYN: Ergebnisse der Erstanwendungsstudie des Fc-optimierten FLT3-Antikörpers FLYSYN zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie mit minimaler Resterkrankung (Abstract 274)

Dr. med. Jonas S. Heitmann, Tübingen, stellte erste Ergebnisse einer Phase-I-Studie mit dem Fc-optimierten FLT3-Antikörper FLYSYN vor. 31 Patienten mit akuter myeloischer Leukämie hatten den Antikörper in der Dosis 15mg/m² erhalten und recht gut vertragen. Als schwere Nebenwirkung trat bei zwei Patienten vorübergehend eine Neutropenie Grad 3 auf. 35 % der Patienten sprachen auf die Behandlung an. Die Phase-II-Studie folgt.

PET-adaptierter Verzicht auf Radiotherapie beim intermediären Hodgkin Lymphom: Ergebnisse der HD17-Studie der German Hodgkin Study Group (Abstract 483)

Prof. Dr. med. Peter Borchmann, Köln, präsentierte die Daten der HD17-Studie. Die Strahlen- und Chemotherapie sind in der Regel gut wirksam, die Spätfolgen stellen aber gerade für junge Patienten ein Problem dar. In HD17 wurde PET-gesteuert die Strahlentherapie weggelassen (PET: Positronen-Emissions-Tomographie). Die Nichtunterlegenheit konnte für Patienten mit einem Deauville-Score <4  gezeigt werden. Borchmann zufolge sollte die PET-gesteuerte 2+2-Chemotherapie neuer Standard für Hodgkin-Patienten im mittleren Stadium werden.

Klinische Ergebnisse nach autologer hämatopoetischer Stammzelltransplantation mit betibeglogene autotemcel (beti-cel, LentiGlobin für β-Thalassämie) Gentherapie in Phase 3 Nothstar-2 und Northstar-3 Studien in transfusionsabhängiger β-Thalassämie (TDT) (Abstract 577)

Prof. Dr. med. Andreas E. Kulozik, Heidelberg, stellte die noch laufenden Phase-III-Studien Northstar-2 und -3 vor, die unterschiedliche Patientengruppen mit transfusionsabhängiger β-Thalassämie einschloss. 38 Patienten erhielten die Gentherapie „betibeglogene autotemcel“. 17 von 19 auswertbaren Patienten in Northstar-2 erreichten Transfusionsunabhängigkeit, sechs von acht auswertbaren Patienten in Northstar-3. Diese Patienten behielten die Transfusionsunabhängigkeit im Lauf der Studie. Vier Patienten entwickelten eine Lebervenenverschlusskrankheit (VOD), drei von ihnen mit Grad 3/4. Bei einem Patienten kam es zu einer schweren Herzinsuffizienz. Die aufgetretenen Nebenwirkungen waren reversibel.

Quellen

Kongress-Pressekonferenz „Highlights der virtuellen Jahrestagung 2020 und Best Abstracts“. Virtuelle Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie 2020 und Best Abstracts“ , 10. Oktober 2020, 12:30 bis 13:30 Uhr

Kongressprogramm (PDF)