Retten Krebsscreenings Leben?

Patienten stehen heutzutage zahlreiche Krebsscreening-Programme zur Verfügung. Allerdings sind nicht alle uneingeschränkt sinnvoll und das Versprechen, dass sie Leben retten, trifft nur auf einzelne von ihnen zu.

Krebs verhindern versus früh diagnostizieren

Vielerorts werden Patienten dazu angehalten, an Krebsscreening-Programmen teilzunehmen oder zur sogenannten Krebsvorsorge zu gehen. Diese umfasst verschiedene Maßnahmen wie die Mammographie, den PAP-Abstrich, die PSA-Testung, Darmspiegelungen oder einen Test auf okkultes Blut im Stuhl. In den letzten Jahren wurden die Diskussionen lauter, welche dieser Maßnahmen wirklich sinnvoll sind. Wurde zunächst angenommen, dass diese Leben retten, also die Lebenserwartung verlängern, gibt es kaum klinische Studien, die diesen Effekt belegen.

Ein skandinavisches Autoren-Team erläutert in einem aktuellen Meinungsbeitrag, warum diese Programme nicht uneingeschränkt positiv zu sehen sind. Ein großes Problem ist, dass bei der Bewerbung dieser Angebote nicht unterschieden wird zwischen Maßnahmen, die eine Krebserkrankung wirklich verhindern können und solchen, die dazu dienen, Krebs in einem frühen Stadium zu detektieren. Stattdessen werden viele mit dem Slogan „rettet Leben“ beworben. So ist beispielsweise der PAP-Abstrich eine Methode, die tatsächlich Krebserkrankungen vermeiden könne, da bereits bei Vorstufen interveniert und so das Zervixkarzinom verhindert werden könne. Die meisten Patienten glauben aber, dass alle Screeningverfahren das Krebsrisiko minimieren.

Überdies werden mögliche Negativeffekte ausgeblendet bzw. mangelhaft kommuniziert. So besteht bei einigen Verfahren das Risiko von Über- und Falschdiagnosen, beispielsweise bei PSA-Testung, sodass die Patienten von einer Behandlung nicht profitieren, aber die Risiken dafür tragen müssen.

Warum wird das Screening von so vielen Parteien empfohlen?

Das Autoren-Team kritisiert, dass viele der Empfehlungen für ein Screening von Interessenkonflikten geleitet werden oder auf Fehlannahmen über den Nutzen beruhen – nämlich, dass die Screeningverfahren dazu da seien, Krebserkrankungen zu vermeiden und dass somit die Risiken immer kleiner seien als der Nutzen.

Sie identifizieren Interessenkonflikte und falsche Vorstellungen zu den Verfahren bei

  • Medizinern: Anfangs wurden die Tests (z.B. auf PSA) in der Hoffnung durchgeführt, dass dadurch Todesfälle verhindert werden. Jahrzehnte später deutet sich an, dass dies nur wenig Nutzen hinsichtlich der Verhinderung von Todesfällen bringt, aber Überdiagnose und -behandlung ein substanzielles Problem darstellen. Trotzdem wird die PSA-Testung weiterhin (ggf. aus Gewohnheit) weiter verordnet. Andere Verfahren haben den entsprechenden Fachärzten einen finanziellen Vorteil verschafft.
  • Patientenvertretern: Diese setzen sich für ihre Patienten ein, in dem Glauben, Gutes zu tun, wenn sie die Screenings befürworten. So argumentieren sie oft leidenschaftlich für einen Ausbau der Screenings, unter anderem auch, weil ihnen eine große Zahle vermeintlich Todgeweihter bekannt ist, die durch das Screening verhindert wurde. Dies sind die zahlreichen Fälle an Falsch- und Überdiagnosen, die auch ohne Screening nicht vorzeitig gestorben wären – allein in den USA geht man von 1,5 bis 1,9 Millionen Männern mit überdiagnostiziertem Prostatakrebs aus, die vom Screening nicht profitiert haben, aber glauben, dass sie ihm ihr Leben zu verdanken haben.
  • Krebsgesellschaften: Diese müssen sichtbar bleiben, da sie von Spenden abhängig seien. Dies geschehe oft durch die Unterstützung und Bewerbung von Screening-Programmen.
  • Politikern: Würden diese für die Abschaffung bestimmter Screenings plädieren, würde dies sehr wahrscheinlich Stimmen kosten.
  • Beschäftigten im Gesundheitswesen: Auch diese glauben häufig an den Nutzen der Programme. Überdies würden durch Reduzierung der Programme Arbeitsplätze verloren gehen.

Interessenkonflikte offenlegen

Laut dem Autoren-Team sollten für Screening-Programme die gleichen Maßstäbe gelten wie für Arzneimittel, Impfungen oder verschiedene Devices: Nutzen und Risiken sollten in klinischen Studien untersucht und Interessenkonflikte der Beteiligten transparent dargelegt werden. Leitlinien für die Implementierung von Screeningverfahren sollte Personen vorbehalten bleiben, die keine irgendwie gearteten persönlichen Interessen (z.B. finanzielle) an der Etablierung des Verfahrens haben. Dies würde Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Leitlinien steigern. Überdies müsse offener über Nutzen und Risiken der Screenings gesprochen werden.

Aktuelle Metaanalyse zu etablierten Testverfahren

In einer aktuellen Metaanalyse scheint sich die Annahme der Autoren zu bestätigen, dass die Screenings nicht unbedingt zu einer Lebensverlängerung beitragen. Untersucht wurden sechs gängige Verfahren:

  • Kolonoskopie, Sigmoidoskopie, Test auf okkultes Blut im Stuhl zur Detektion von Kolorektalkarzinomen
  • Mammographie zum Aufspüren von Brustkrebs
  • PSA-Testung als Hinweis auf Prostatakarzinome

Das einzige Verfahren, bei dem durch die Nutzung eine signifikante Lebensverlängerung (110 Tage) nachgewiesen werden konnte, war die Sigmoidoskopie.

Die Autoren der Metaanalyse betonen, dass sie mit den Daten nicht erreichen wollen, alle Screenings abzuschaffen. Vielmehr sollen die Daten dazu dienen, mehr abzuwägen: Verfahren mit einem positiven Nutzen-Schaden-Verhältnis können weiterhin sinnvoll sein. Außerdem sollten Patienten gleichermaßen über Risiken und Schaden des Testverfahrens aufgeklärt werden wie über den Nutzen.

Quelle

Adami HO, et al. The Future of Cancer Screening ­– Guided Without Conflicts of Interest. JAMA Intern Med 2023. doi: 10.1001/jamainternmed.2023.4064. Online ahead of print.

Bretthauer M, et al. Estimated Lifetime Gained With Cancer Screening Tests. A Meta-Analysis of Randomized Clinical Trials. JAMA Intern Med 2023. Published online August 28. doi:10.1001/jamainternmed.2023.3798