Patienten mit neu diagnostiziertem, lokal begrenztem Prostatakrebs benötigen oft keine aggressive Therapie. Eine aktive Überwachung („active surveillance“) ist einer Studie aus Großbritannien zufolge einer Strahlentherapie oder Prostatektomie nicht unterlegen und kann für bestimmte Patienten durchaus infrage kommen.
Prostatakrebs ist bei Männern der häufige bösartige Tumor
In Deutschland erkrankten im Jahr 2018 rund 65.200 Männer neu an Prostatakrebs, knapp 15.000 Männer starben daran. Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor, an Prostatakrebs zu erkranken. Doch längst nicht alle Männer, die im Laufe ihres Lebens ein Prostatakarzinom entwickeln, müssen damit rechnen, dass der Tumor ihre Lebenserwartung oder Lebensqualität einschränken wird: Das Risiko, im Laufe des Lebens an Prostatakrebs zu erkranken, beträgt für Männer in westlichen Industrieländern etwa 40%, etwa 10% werden symptomatisch und nur 3% versterben daran.
Übertherapien vermeiden
In den letzten Jahren hat sich die Diagnostik des Prostatakarzinoms entscheidend verändert, sodass viele Karzinome bereits in einem sehr frühen Stadium erkannt werden. Wenn der Tumor lokal begrenzt ist, kann statt einer aggressiven Behandlung ein anderes Vorgehen infrage kommen: „aktive Überwachung“ (active surveillance).
Aktive Überwachung bedeutet, bei ansonsten gesunden und für eine kurativ intendierte Therapie geeignete Patienten eine aktive (kurative) Behandlung aufzuschieben, bis sich Hinweise auf eine Progression ergeben oder der Patient die Behandlung wünscht. Hierzu wird eine engmaschige Verlaufskontrolle mit festgelegten Progressionsparametern einschließlich Kontrollbiopsie vorgenommen. Ziel der aktiven Überwachung ist es, Überbehandlungen früher Tumorstadien zu reduzieren, ohne die Heilungsraten zu senken.
Welche Patienten kommen für aktive Überwachung infrage?
Um einen klinisch bedeutsamen Tumor von einem nicht bedeutsamen zu unterscheiden, wurden verschiedene Definitionen entwickelt. Das Problem: Keines der bislang angewandten Verfahren detektiert ein nicht bedeutendes Karzinom prospektiv mit ausreichender Sicherheit.
In der S3-Leitlinie Prostatakarzinom des Leitlinienprogramms Onkologie von 2021 wird die Entscheidung, ob für einen Patienten eine aktive Überwachung infrage kommt, unter Berücksichtigung von Alter und Komorbidität u.a. an folgende Parameter geknüpft:
- PSA-Wert ≤ 10 ng/ml
- Gleason-Score ≤ 6
- Tumorstadium cT1 oder cT2a
- Tumor in ≤ 2 Stanzen bei leitliniengerechter Entnahme von 10 bis 12 Stanzen, ≤ 50 % Tumor pro Stanze
Die Experten der Leitlinie empfehlen aktives Überwachen statt einer kurativen Behandlung vor allem für Patienten, deren voraussichtliche Lebenserwartung bei unter zehn Jahren liegt. Allerdings gründen sich die Empfehlungen auf Studien von begrenzter methodischer Qualität (ältere, retrospektive Studien, zum Teil kleine Fallzahlen, unterschiedliche Selektionskriterien und kurze Beobachtungszeiten). Es bedarf prospektiver, langfristiger Untersuchungen. Eine solche Studie ist die ProtecT-Studie (Prostate Testing for Cancer and Treatment) aus Großbritannien. Die Ergebnisse nach 15 Jahren Follow-Up wurden nun im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Randomisierte Studie der University of Oxford
Zwischen 1999 und 2009 erhielten in Großbritannien 82.429 Männer zwischen 50 und 69 Jahren einen Test auf das prostataspezifische Antigen (PSA). Bei 2664 Männern wurde Prostatakrebs in einem lokalisierten Stadium diagnostiziert, 1643 von ihnen wurden in die Studie aufgenommen. Sie wurden 1:1:1 randomisiert: 545 wurden einer aktiven Überwachung, 553 einer Prostatektomie und 545 einer Strahlentherapie zugeteilt.
Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 15 Jahre (Bereich 11 bis 21 Jahre). Primärer Endpunkt war die Sterblichkeit aufgrund des Prostatakrebses. Sekundäre Endpunkte umfassten die Gesamtsterblichkeit, das Auftreten von Metastasen, die Krankheitsprogression und die Notwendigkeit einer Langzeit-Androgenentzugstherapie.
Bei 1610 Patienten (98%) war die Nachbeobachtung zum Zeitpunkt der Auswertung abgeschlossen. Mehr als ein Drittel der Männer hatte zum Zeitpunkt der Diagnose eine Erkrankung mit mittlerem oder hohem Risiko.
Insgesamt waren im Studienverlauf 45 Männer (2,7%) an Prostatakrebs verstorben:
- 17 (3,1%) in der Gruppe mit aktiver Überwachung,
- 12 (2,2%) in der Gruppe mit Prostatektomie und
- 16 (2,9%) in der Gruppe mit Strahlentherapie (p = 0,53 für den Gesamtvergleich).
Todesfälle jeglicher Ursache traten bei 356 Männern (21,7%) auf, mit einer ähnlichen Verteilung in den drei Gruppen.
Metastasen entwickelten sich
- bei 51 Männern (9,4%) in der Gruppe mit aktiver Überwachung,
- bei 26 (4,7%) in der Prostatektomie-Gruppe und
- bei 27 (5,0%) in der Strahlentherapie-Gruppe.
Eine langfristige Androgenentzugstherapie wurde bei 69 Männern (12,7%), 40 (7,2%) bzw. 42 (7,7%) begonnen. Eine klinische Progression trat bei 141 Männern (25,9%), 58 (10,5%) bzw. 60 (11,0%) auf.
In der Gruppe mit aktiver Überwachung lebten 133 Männer (24,4%) am Ende der Nachbeobachtung ohne Prostatakrebsbehandlung. Weder der PSA-Ausgangswert noch Tumorstadium oder -grad sowie der Risikostratifizierungswert hatten einen Einfluss auf die krebsspezifische Sterblichkeit. Nach der 10-Jahres-Analyse wurden keine besonderen Behandlungskomplikationen berichtet.
Bei Behandlungswahl Nebenwirkungen berücksichtigen
Nach 15 Jahren Nachbeobachtung war die Prostatakrebs-spezifische Sterblichkeit unabhängig von der zugewiesenen Behandlung niedrig. Aktive Überwachung ist bei Patienten mit lokal begrenzten Tumoren demnach eine sichere Alternative zu einer radikalen Prostatektomie oder Strahlentherapie.
Die Autoren der vom National Institute for Health and Care Research geförderten Untersuchung plädieren dafür, bei der Entscheidung der Therapie nicht nur die Vorteile, sondern auch die möglichen Schäden zu berücksichtigen, die mit Behandlungen von lokalisiertem Prostatakrebs einhergehen können: Mögliche Langzeitfolgen einer radikalen Prostatektomie können – je nach Umfang der OP und angewandtem Verfahren – Inkontinenz und Harnentleerungsstörungen, erektile Dysfunktion sowie Impotenz sein. Nach einer Bestrahlung können neben Hautveränderungen und einer chronischen Darmentzündung ebenfalls erektile Dysfunktion oder Inkontinenz auftreten, letztere Nebenwirkungen jedoch insgesamt seltener als nach einer OP.
Quelle
Hamdy FC, et al. Fifteen-Year Outcomes after Monitoring, Surgery, or Radiotherapy for Prostate Cancer. N Engl J Med 2023 Mar 11. doi: 10.1056/NEJMoa2214122. Online ahead of print.