Mit Sport weniger kognitive Beeinträchtigungen durch anticholinerge Substanzen

Anticholinergika mindern bei Älteren die kognitive Leistungsfähigkeit. Dagegen hilft Sport.

Im Alter relevant

Arzneimittel mit anticholinerger Wirkung gibt es viele. So nützlich Antihistaminika, Benzodiazepine und Neuroleptika sind, ihnen gemeinsam ist ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Wirkungen im Hinblick auf kognitive Funktionen. Bei älteren Patienten, die oft Medikationen zur Behandlung von Inkontinenz, Parkinson oder neuropsychiatrischen Erkrankungen einnehmen, und ohnehin vermehrt mit derartigen Beeinträchtigungen zu kämpfen haben, ein äußerst ungünstiger Effekt.
Eine aktuelle Studie untersuchte, inwieweit diese Nebeneffekte altersabhängig auftreten und ob körperliche Aktivität eine Gegenmaßnahme darstellt.

Alt und jung im Vergleich

Sind kognitive Beeinträchtigungen durch die anticholinerge Wirkung von Arzneimitteln bei älteren Patienten stärker ausgeprägt? Welchen Einfluss hat die Dauer der Medikation? Einige Autoren
brachten eine verstärkte Einnahme solcher Substanzen mit einem erhöhten Demenzrisiko und Hirnatrophie in Verbindung. Bei jüngeren Patienten scheinen dagegen keine derartigen Nebenwirkungen aufzutauchen. Die Studienautoren bewerteten bei über 20.500 Erwachsenen ab 45 Jahren die anticholinerge kognitive Belastung durch Arzneimittel anhand eines gängigen Scores (pdf). Die Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten erfolgte anhand longitudinaler Tests. Dabei wurden die kognitive Gesamtfunktion sowie Gedächtnis- und Sprachfluss-Fähigkeiten separat untersucht.

Mehr Verluste bei Senioren

Es ergab sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen anticholinerger Belastung und den kognitiven Testergebnissen. Patienten mit höherer anticholinerger Belastung wiesen bereits zu Studienbeginn niedrigere kognitive Fähigkeiten auf. Diese Einschränkungen nahmen hinsichtlich aller drei getesteten kognitiven Kriterien bei hoher anticholinerger Belastung mehr zu. Zudem ergaben sich mit zunehmendem Alter stärkere Auswirkungen durch die Medikation.

In allen Altersgruppen nahmen die Sprachfluss-Fähigkeiten ab; die Gedächtnisleistungen verbesserten sich teilweise (eventuell durch einen Übungseffekt während der Studie). Der Unterschied zwischen Teilnehmern mit niedriger anticholinerger Belastung zu denen mit einer hohen Belastung blieb über alle Altersgruppen hinweg konstant.

Warum ein fortschreitendes Alter diese Effekte hervorruft, ist bislang Spekulation. Eventuell spielen eine erhöhte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke sowie eine reduzierte Arzneimittelclearance von Leber und Nieren eine Rolle.

Einflussfaktor körperliche Aktivität

Ein weiterer untersuchter Aspekt der Studie war der Einfluss von sportlicher Betätigung auf die kognitiven Veränderungen: Kann Bewegung diese unerwünschten Arzneimittelwirkungen abmildern? Eine Erhebung der Aktivität erfolgte anhand von Selbstauskünften der Teilnehmer. Es ergab sich eine abschwächende Wirkung auf die medikamenteninduzierten Kognitionsbeeinträchtigungen bezüglich aller drei Kriterien bei sportlicher Aktivität (ein- bis dreimal wöchentlich) im Vergleich zu Teilnehmern, die keinen Sport trieben.

Die Autoren sehen in diesen Erkenntnissen wichtige Anhaltspunkte für klinische Anwendungen: Patienten, die einer hohen Belastung durch anticholinerg wirkende Arzneimittel ausgesetzt sind, könnten in Bezug auf die kognitiven Fähigkeiten in besonderem Maße überwacht werden. Darüber hinaus ist zu überdenken, ob es Alternativen, etwa für Antidepressiva, bei älteren Patienten gibt. Zudem erscheint eine ausdrückliche Empfehlung für körperliche Aktivität für Senioren unter der Gabe von Anticholinergika umso bedeutender.

Quelle

Norling AM, Bennett A, Crowe M, et al. Longitudinal associations of anticholinergic medications on cognition and possible mitigating role of physical activity. J Am Geriatr Soc. 2023;1- 7. doi:10.1111/jgs.18279.