Jede Frau mit einer durchgemachten Harnwegsinfektion kennt sie vermutlich: die Mittelstrahlurin-Technik. Obwohl diese Methode allgemein empfohlen wird, gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass sie Vorteile gegenüber anderen Arten der Uringewinnung hat. Zu diesem Schluss kommt ein Forschungsteam, das verschiedene Techniken miteinander verglichen hat.
Welche Uringewinnungsarten gibt es?
Der Goldstandard zur Diagnose einer Harnwegsinfektion (HWI) ist – neben typischen Symptomen wie Brennen und Schmerzen beim Wasserlassen sowie imperativem, tröpfchenweisem Harndrang – die Urinuntersuchung (quantitative Urinkultur). Für die Probenahme stehen folgende invasive bzw. nichtinvasive Methoden zur Auswahl:
Nichtinvasiv | Invasiv |
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Welches nun die beste Technik zur Uringewinnung ist, wird in Fachkreisen seit Jahren intensiv diskutiert. Als Nachweis für eine HWI gilt ein Grenzwert von 105 KBE(Koloniebildende Einheiten)/ml. Allerdings handelt es sich dabei um keine absolute, harte Grenze. Bei entsprechender klinischer Symptomatik kann dieser Wert auch unterschritten werden und trotzdem klinisch relevant sein.
Mittelstrahlurin ist Goldstandard
Im Einklang mit der S3-Leitlinie erfolgt die Uringewinnung für den bakteriellen Nachweis aus dem Mittelstrahlurin – und zwar unabhängig davon, ob Frauen oder Männer von einer HWI betroffen sind und welche Art einer HWI (akute unkomplizierte Zystitis, Pyelonephritis oder asymptomatische Bakteriurie) vorliegt.
Bei symptomatischen Frauen spricht der Nachweis von Escherichia coli im Mittelstrahlurin, unabhängig von der Erregerzahl, für eine bakterielle Harnwegsinfektion.
Obwohl die Leitlinie den Mittelstahl klar favorisiert, kann im Rahmen einer orientierenden Urinuntersuchung, beispielsweise mit Teststreifen, auf die Mittelstrahltechnik zugunsten von Spontanurin verzichtet werden. Für alle anderen mikrobiologischen Analysen empfiehlt die Leitlinie die Gewinnung von Mittelstrahlurin.
Studiendesign
Aufgrund der bisherigen, eher kontroversen Studienergebnisse evaluierten die Autoren in dem vorliegenden systematischen Review, welche nichtinvasive Methode am besten für die Probengewinnung bei Frauen mit symptomatischer HWI geeignet ist. Das Forschungsteam durchsuchte verschiedene Datenbanken nach Studien, in denen mindestens zwei verschiedene nichtinvasive Uringewinnungstechniken miteinander verglichen wurden (Mittelstrahlurin ohne bzw. nach vorheriger Reinigung des Genitalbereichs, die Verwendung von Morgenurin oder die Probenahme ohne Anleitung) und filterten sechs Publikationen mit insgesamt 1010 Patienten heraus. Primärer Endpunkt war die diagnostische Genauigkeit der gewonnenen Urinkulturen. Daneben wurden die Kontaminationsraten berücksichtigt.
Mittelstrahlurin nicht besser als andere Techniken
In Bezug auf die diagnostische Genauigkeit beobachteten die Autoren keinen Unterschied in der Qualität der Urinprobe. Somit war die Mittelstrahlurintechnik nicht vorteilhafter als andere Methoden zur Uringewinnung. Auch die Kontaminationsraten waren vergleichbar, insbesondere bei der Gewinnung von Mittelstrahlurin ohne bzw. nach vorheriger Reinigung des Genitalbereichs. Nur in einer einzigen Studie, in der Morgenurin- mit Mittelstrahlurinproben verglichen wurde, war die Kontaminationsrate zugunsten der Mittelstrahlurintechnik geringer.
Kommentar
In dem systematischen Review waren nur sechs Studien eingeschlossen, von denen drei vor dem Jahr 2000 durchgeführt wurden. Außerdem ist nicht klar, ob die Studienergebnisse der älteren Publikationen den heutigen mikrobiellen Standards entsprechen würden. Hinzu kommt, dass es sicherlich schwierig bis nicht überprüfbar ist, wie die Frauen die Urinprobe gesammelt haben, also ob tatsächlich der Mittelstrahlurin verwendet wurde oder nicht. Denn es gibt keinen konkreten Anhaltspunkt, ab wann der Mittelstrahlurin tatsächlich beginnt. Insofern ist die Fehleranfälligkeit recht hoch.
Nach wie vor besteht praktisch keine Evidenz für die weit verbreitete sowie empfohlene Mittelstrahlurintechnik. Genauso gut könnte auch jede andere Methode zur Uringewinnung zum Einsatz kommen, weil es keinen Unterschied macht, welche Technik angewandt wird. Die Ergebnisse ermöglichen keine Rückschlüsse darauf, dass eine bestimmte Methode einer anderen überlegen war. Insofern konnte das systematische Review die intensive Debatte um die beste Probentechnik nicht abschließend klären. Die Autoren empfehlen, den Fokus eher darauf zu legen, welche Methode für den Patienten am einfachsten durchführbar ist.
Quellen
- Llor C, et al. Best methods for urine sample collection for diagnostic accuracy in women with urinary tract infection symptoms: a systematic review. Family Practice 2022;cmac058; doi.org/10.1093/fampra/cmac058.
- Interdisziplinäre S3-Leitlinie „Epidemiologie, Diagnostik, Therapue, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektion bei erwachsenen Patienten“, Aktualisierung 2017; AWMF-Register-Nr. 043/0444.