Neue Wirkstoffe zu entdecken und erfolgreich zu synthetisieren, ist nicht trivial und wird zunehmend schwieriger. Aufgrund des hohen Kostendrucks sind Wissenschaftler auf der Suche nach alternativen Ansätzen für die Entwicklung neuer Arzneimittel. Eine interaktive Plattform stellt das Repurposing von Arzneimitteln in den Fokus und könnte hier Abhilfe schaffen.
Hintergrund
Zwischen 1950 und 2010 hat sich die Produktivität der Arzneistoffentwicklung etwa alle neun Jahre halbiert. Obwohl sich dieser Trend über die letzten zehn Jahre erfreulicherweise nicht fortgesetzt hat, sind die Kosten für die Arzneistoffentwicklung mit schätzungsweise 2-3 Milliarden US Dollar nach wie vor enorm. Daher ist das Interesse an (kostengünstigeren) Alternativen hoch. Hinzu kommt, dass vorhandene Studien auf Vorhersagen für bestimmte Krankheiten limitiert sind und Daten bislang entweder lückenhaft oder in vielen verschiedenen Quellen und Datenbanken verstreut waren. Sepideh Sadegh, Erstautorin der in Nature Communications erschienenen Studie, war maßgeblich an der Entwicklung der neuen Repurposing-Plattform NeDrex beteiligt und kommentierte die Implementierung wie folgt:
We close this gap with NeDRex.
Was ist Repurposing?
Wörtlich übersetzt bedeutet Repurposing die Umnutzung von Arzneimitteln, also das Wiederverwenden bereits vorhandener und zugelassener Arzneimittel für andere Indikationen. Die damit verbundenen Vorteile sind:
- Kostenersparnis
- Zeitersparnis durch das Überspringen präklinischer Studien und
- Risikominimierung einer Nicht-Zulassung
Gerade letzteres gewinnt zunehmend an Bedeutung, weil die Arzneimittelzulassungsbehörden aufgrund der teilweise nicht reproduzierbaren präklinischen Forschungsergebnisse eher zurückhaltend agieren. Somit stellt das Repurposing eine willkommene Alternative für die Entwicklung neuer Therapeutika dar, die schneller und kostengünstiger ist.
Die NeDrex Plattform
Network-based Drug Repurposing and exploration (NeDrex) – so lautet der Name der neuen, interaktiven Plattform. Sie basiert auf den folgenden drei Hauptkomponenten:
- einer Wissensdatenbank (NeDRexDB)
- der Cytoscape App (NeDRexApp) und
- der Programmierschnittstelle API (Application Programming Interface), die es Dritten erlaubt, auf die Daten zuzugreifen (NeDRexAPI)
Mithilfe von umfassenden Datenquellen zu Wirkstoffen und ihren Targets, Genen sowie Krankheitsannotationen und ihren Beziehungen zueinander ermöglicht das Netzwerk die Identifikation von Krankheitsmodulen sowie das Repurposing von Wirkstoffen. Darüber hinaus bietet die Datenbank die Möglichkeit, zugelassene Arzneimittel einzeln zu priorisieren und Forschungsergebnisse statistisch zu validieren. Gerade ersteres kann den Prozess der Arzneimittelentwicklung beschleunigen, weil Wissenschaftler dadurch die präklinische Studienphase überspringen und direkt in klinische Studien übergehen können. Das ist ein entscheidender Vorteil, der den Prozess zwischen der Entwicklung und Zulassung neuer Arzneimittel maßgeblich verkürzt. Zusammenfassend bietet NeDrex Wissenschaftlern eine Plattform, auf der sie ihr pharmazeutisches und biomedizinisches Fachwissen für die Entdeckung potenzieller Repurposing-Kandidaten nutzen können. Im Sinne der Autoren soll dieses Netzwerk
- allen offen stehen
- für alle nichtkommerziellen Forschungszwecke verfügbar sein
- benutzerfreundlich gestaltet sein und
- auch von Personen fernab jeglicher Informatik-Kenntnisse bedient werden können
Für den Einstieg stehen auf der Homepage ein Erklärvideo und Tutorials bereit. Zukünftig sollen weitere Daten, z. B. zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Krankheitssymptomen, fortlaufend in NeDrex eingespeist werden, um Informationen umfassend zu bündeln.
Vorgehensweise
Den Studienautoren zufolge erfolgt die Identifizierung potenzieller Wirkstoff-Kandidaten in drei Schritten:
- Man nehme ein Netzwerk mit biomedizinischen Daten und extrahiere diejenigen, die relevant für das Forschungsprojekt sind,
- leite daraus die Krankheitsmodule ab, die für die zu untersuchende Erkrankung relevant sind
- erstelle Listen, in denen die Wirkstoffe priorisiert werden, die zu den abgeleiteten Krankheitsmodulen passen.
Bisherige Erfolge & Limitationen
Der Nutzen und die Praxistauglichkeit von NeDRex konnte bereits an mehreren spezifischen Anwendungsfällen getestet werden, so Prof. Dr. Jan Baumbach, Professor für Computergestützte Systembiologie am Zentrum für Bioinformatik an der Universität Hamburg und Mitautor der Studie. Dabei ist es dem Forschungsteam gelungen, potenzielle Wirkstoff-Kandidaten zu identifizieren, die für die Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen, Morbus Alzheimer, Lungenembolie und Chorea Huntington weiter erforscht werden können. Zu beachten ist, dass die Identifikation vielversprechender pharmakologischer Kandidaten selbstverständlich nicht von der Pflicht entbindet, diese in klinischen Studien zu untersuchen.
Quellen
- Sadegh S, et al. Network medicine for disease module identification and drug repurposing with the NeDRex platform. Nature Communications 2021;12:6848.
- Pressemitteilung „Neue Plattform für Drug Repurposing“ der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vom