Songs als Suizidprävention

Eine Studie in der aktuellen Weihnachtsausgabe des British Medical Journal zeigt, dass ein Lied über die amerikanische Suizidpräventionshotline National Suicide Prevention Lifeline dafür sorgte, dass mehr Menschen diese Hilfe in Anspruch nahmen.

Suicide prevention anthem

2017 veröffentlichte der US-amerikanische Rapper Logic gemeinsam mit Alessia Cara und Khalid den Song „1-800-273-8255“. Wer das Lied anhört, wird diese Zahlen im Text nicht hören. Vielmehr geht es um die ehrenamtliche Arbeit, die dahinter steht: Der Titel ist die Telefonnummer der US-amerikanischen Suizidpräventionshotline National Suicide Prevention Lifeline und der Rapper besingt, wie einem jungen Mann dort aus einer Lebenskrise herausgeholfen wurde.

Der Song wurde in den Medien als „suicide prevention anthem“ bezeichnet und gemeinsam mit der Telefonnummer von Lifeline auf vielen Events, unter anderem den MTV Video Music Awards, als eine Geschichte über Hoffnung und Genesung vorgestellt. Vier Wochen nach Veröffentlichung war die Zahl der Google-Suchanfragen zu Lifeline um 10% gestiegen. Das Lied erreichte Platz 3 der amerikanischen Billboard-Charts und war bis Ende 2020 mehr als eine Milliarde Mal bei Spotify angehört worden.

Eine aktuelle Studie, die in der diesjährigen Weihnachtsausgabe des British Medical Journal erschienen ist, zeigt einen Papageno-Effekt des Liedes.

Werther-Effekt und Papageno-Effekt
Mit Werther-Effekt wird das Phänomen beschrieben, dass in den Medien ausführlich berichtete Suizide Nachahmungstaten auslösen können. Benannt ist er nach Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werthers“, in dem sich die Titelfigur umbringt, was zahlreiche Suizide in der Bevölkerung nach sich zog.
Der Papageno-Effekt dagegen besagt, dass Berichterstattung über Menschen, die eine Krisensituation konstruktiv und ohne suizidales Verhalten bewältigen, Selbsttötungen verhindern kann. Namenspate ist der Held aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, der seinen Suizidwunsch mit der Unterstützung von drei anderen Figuren überwindet.

 

Mehr Anrufe bei Lifeline

Die Autoren untersuchten, ob mediale Aufmerksamkeit für das Lied für mehr Anrufe bei Lifeline sorgte und sich die Suizidrate reduzierte. Als Vergleich dienten Zahlen aus der Zeit vor der Erstveröffentlichung.

Anhand von Twitter-Posts schätzten die Autoren, wann der Song besonders viel öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hatte. Die drei Events, die so als besonders relevant identifiziert wurden, waren die Erstveröffentlichung, die MTV Video Music Awards 2017 und die Grammy Awards 2018.

34 Tage nach den Events riefen mehr Menschen bei Lifeline an und die Zahl der Suizide sank. Laut einer gepoolten Analyse stieg die Zahl der Anrufe um fast 10.000 (6,9%), besonders stark ausgeprägt war dieser Effekt nach den MTV Video Music Awards. Verglichen mit der erwarteten Zahl an Suiziden (Modellrechnung) war ein Rückgang um 245 Fälle (5,5%) zu verzeichnen.

Die Autoren schlagen aufgrund dieser Ergebnisse vor, zukünftig mehr ähnlich geartete Projekte anzustreben. Die Aufmerksamkeit, die wichtige Personen aus Kunst und Kultur erhalten, könnte in solchen gezielten Aktionen dazu führen, dass mehr Menschen Hilfe suchen, ihre persönliche Krise zu meistern anstatt einen Selbstmord als letzten Ausweg zu wählen.

Anonyme und kostenlose Hilfsangebote in Deutschland

Telefonseelsorge rund um die Uhr: 0800/1110111 oder 0800/1110222

Kinder- und Jugendtelefon Nummer gegen Kummer: 116111

Quellen

Niederkrotenthaler T, et al. Association of Logic’s hip hop song “1-800-273-8255” with Lifeline calls and suicides in the United States: interrupted time series analysis. BMJ 2021;375:e067726. doi: https://doi.org/10.1136/bmj-2021-067726

Pitman A. A song of hope. BMJ 2021;375:n2964. doi: https://doi.org/10.1136/bmj.n2964