Bei Krebserkrankungen sind sie längst etabliert, aber wie sieht es mit der personalisierten Antikörpertherapie in der Schmerzmedizin aus? Dieser Frage ging Priv.-Doz. Dr. Tim Jürgens, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG), in der Pressekonferenz im Rahmen des diesjährigen (digitalen) Schmerzkongresses nach.
Antikörper bisher selten
In der Onkologie, Rheumatologie oder auch bei der multiplen Sklerose sind Antikörper mittlerweile ein fester Bestandteil in der Therapie. In der Migränebehandlung sind sie dagegen erst seit etwa zwei Jahren etabliert. Zugelassen sind in Europa Antikörper gegen CGRP (Galcanezumab und Fremanezumab) bzw. den CGRP-Rezeptor (Erenumab).
In der Onkologie hat ein Umdenken stattgefunden. Tumorentitäten sind immer seltener für die Therapie entscheidend, stattdessen wird diese personalisiert anhand molekularer Eigenschaften, Genmutationen oder Oberflächeneigenschaften festgelegt.
Soweit ist man bei der Schmerztherapie noch nicht. Allerdings befinden sich einige Antikörper für verschiedene Schmerzindikationen in der Entwicklung, beispielsweise Tanezumab, Fasinumab und Fulranumab bei Schmerzen bei Osteoarthritis und Rückenschmerz. Crizanlizumab für schmerzhafte Krisen bei der Sichelzellanämie ist zumindest in den USA bereits zugelassen, das CHMP hat den Antikörper zur Zulassung empfohlen.
Nachteil: teuer
Aufgrund sozialrechtlicher Vorgaben, beispielsweise dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, werden die Antikörper erst am Ende einer Eskalationskaskade gegeben, wenn alle anderen Optionen versagt haben, nicht vertragen werden oder kontraindiziert sind.
Das ist aus Sicht der Kostenträger sicherlich attraktiv, aus Sicht der Patienten aber nicht unbedingt.
Oft haben Patienten so über Jahre dauernde erfolglose Therapieversuche hinter sich, bevor sie eine Antikörpertherapie erhalten. Ein Paradigmenwechsel wäre wünschenswert: Jeder Patient sollte möglichst früh das für ihn am besten geeignete Medikament bekommen – Antikörper oder auch konventionelle Prophylaxe.
Wie findet man geeignete Patienten?
Problematisch dabei: Migräne ist ein sehr heterogenes Krankheitsbild und unterschiedliche Patienten sprechen auf die gleichen Medikamente unterschiedlich an. Bisher weiß man wenig darüber, wie man ein Ansprechen auf eine Migränetherapie im Vorfeld abschätzen kann und so ist die personalisierte Migränetherapie derzeit kein Standard.
Erste Daten deuten an, dass ein positiver CGRP-Provokationstest mit einem guten Ansprechen auf Erenumab korreliert. Bei Botulinum-Toxin und Topiramat ist bekannt, dass die Behandlung bei Patienten mit bereits lange bestehendem chronischen Verlauf schlechter anschlägt.
Es werden also dringend mehr Daten benötigt, um einen personalisierten Einsatz von Antikörpern in der Migränetherapie zu ermöglichen. Das ist die Aufgabe für die nächsten drei bis fünf Jahre, so Jürgens.
Quelle
Online-Pressekonferenz Schmerzkongress 2020 der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. am 21.10.2020