Am 28. und 29. März sollte der diesjährige Frühjahrskongress in Villingen-Schwenningen stattfinden. Aus bekannten Gründen war das dieses Mal nicht möglich. Deshalb wurden die Vorträge als Webkongress angeboten.
Ina Richling, Menden, erläuterte den Zuhörern unter anderem, welche Fallstricke bei der Interpretation von Laborwerten lauern.
Allgemeine Tipps
Einige allgemeine Aspekte sind bei der Interpretation von Laborwerten zu beachten.
Man sollte Werte niemals isoliert betrachten, sondern immer den ganzen Patienten. Sprich, passt der Wert zum sonstigen Zustand des Patienten?
Und auch beim Abgleich mit Normalwerten bzw. Referenzwerten ist Vorsicht geboten:
- Immer auf Einheiten achten! Manchmal werden Laborwerte in unterschiedlichen Einheiten angegeben und dann kann es schnell zu Fehlinterpretationen kommen (z. B. Hämoglobin wird oft in g/dl angegeben, die SI-Einheit wäre mmol/l)
- Man muss das Patientenkollektiv beachten (manchmal unterscheiden sich Werte beispielsweise in asiatischen und europäischen Patienten)
- Referenzwerte können sich zwischen den Geschlechtern unterscheiden (z. B. Hämatokrit: Männer 40–52 %; Frauen 37–47 %)
- Werte können sich je nach Testverfahren unterscheiden (der Quickwert war beispielsweise nicht gut vergleichbar, daher wurde er vom INR als Standard abgelöst)
Warum darf man einem einzelnen Wert nicht glauben?
Verschiedene Einflussgrößen und Störfaktoren können Laborwerte beeinflussen. Einflussgrößen sind durch das Individuum bedingt (z. B. Schwangerschaft, Lebensgewohnheiten, Stress). Störfaktoren dagegen sind nicht durch den Patienten bedingt, dabei handelt es sich z. B. um Fehler bei der Blutabnahme oder der Lagerung.
Ist nur ein Wert bei der Blutuntersuchung auffällig und passt nicht zum Gesamteindruck, lohnt es sich, den Test zu wiederholen und mögliche Einflussgrößen und Störfaktoren bei der ersten Messung zu eruieren.
Wenn der Patient plötzlich einen hohen Kaliumwert hat und alle werden verrückt
Kalium kommt in erster Linie intrazellulär vor. Die Messung wird jedoch im Serum durchgeführt. So kann es passieren, dass bei zu langer Lagerung der Probe eine Hämolyse eintritt und intrazelluläres Kalium austritt, das dann mit erfasst wird. Passt ein erhöhter Wert also nicht zum Bild des Patienten und seinen Vorwerten, lohnt es sich, die Messmethode zu hinterfragen und ggf. erneut zu messen.
Auch Arzneimittel können sich auf Blutwerte auswirken: Manchmal gewollt – zum Beispiel bei Diabetika – manchmal unbeabsichtigt – wenn beispielsweise Kreatinkinase im Serum unter einer Statin-Therapie (als Zeichen von zerstörten Muskelzellen) auftaucht.
Sensitivität und Spezifität
- Hohe Sensitivität: wenig falsch negative Ergebnisse
- Hohe Spezifität: wenig falsch positive Ergebnisse
Das bedeutet, bei einer Sensitivität von 90 % werden 10 % fälschlicherweise nicht als krank entdeckt. Liegt die Spezifität bei 90 %, werden fälschlicherweise 10 % Gesunde als krank deklariert. Für die aktuelle Corona-Lage hieße das, dass von hundert getesteten Gesunden trotzdem 10 in Quarantäne geschickt würden.
Richlings Rat für die aktuelle Situation daher: Wenn also jetzt die ersten Antikörper-Schnelltests für COVID-19 auf den Markt drängen, sollte man immer erst Sensitivität und Spezifität des Tests hinterfragen, bevor man freudig das Testen beginnt!