Flugzeuge, foto: majachrist

Fallschirm rettet nicht mehr Leben als leerer Rucksack?

Eine im renommierten British Medical Journal (BMJ) publizierte Studie zeigt: Ein Sprung aus einem Flugzeug ist ohne Fallschirm nicht tödlicher als ein Sprung mit einem funktionstüchtigen Fallschirm. Die Studie war randomisiert, kontrolliert und verblindet. Und sie zeigt vor allem eins …

Die Sache mit der Interpretation

Randomisierte klinische Studien bilden die Grundlage der evidenzbasierten Medizin (EBM). Allerdings gibt es nicht zu jeder Fragestellung randomisierte klinische Studien – etwa aus ethischen Gründen. Gegner der EBM führen an, dass es nicht immer randomisierter klinischer Studien brauche, um zu zeigen, dass etwas wirke. Schließlich habe man auch keine randomisierten Studien durchgeführt, ob Fallschirme (evidenzbasiert) dazu beitragen, die Sterblichkeit nach einem Sprung aus einem Flugzeug zu reduzieren und trotzdem wisse jeder, dass sie das tun.

Ich selbst bin schon mehrere Mal von einem Flugzeug gesprungen und habe mich nie verletzt – unabhängig davon, ob ich einen Fallschirm trug oder nicht. Doch das zählt natürlich in die Kategorie „Fallbeispiel“ – das Wortspiel sei mir an dieser Stelle verziehen.

Eine Gruppe um Robert Yeh von der Harvard Medical School holte nun die fehlende Studie nach. Randomisiert und verblindet. Und sie stellte fest: Der Gebrauch eines Fallschirms reduzierte die Wahrscheinlichkeit für Tod oder schwere Verletzungen nicht (0% mit Fallschirm vs. 0% Kontrolle; p > 0,9).

Das Ergebnis lehrt uns, zur Interpretation der Ergebnisse nicht nur Headline und Schlussfolgerungen zu lesen – sondern einen genauen Blick ins Studienprotokoll zu werfen.

Das Studienprotokoll

Die Autoren screenten 92 Passagiere > 18 Jahre in einem Flugzeug. 64 verweigerten die Randomisierung, fünf wurden vom Prüfkomitee als nicht geeignet ausgeschlossen. Die verbliebenen 23 Passagiere wurden randomisiert, 12 der Interventionsgruppe zugeordnet (funktionsfähiger Fallschirm) und 11 der Kontrollgruppe (leerer Rucksack). Der primäre Endpunkt setzte sich zusammen aus Tod oder schwerer traumatischer Verletzung beim Aufprall auf den Boden, gemessen unmittelbar nach der Landung. Alle 23 vollendeten den Sprung nach Prüfprotokoll sowie das fünfminütige Follow-up.

Die demographischen Daten unterschieden sich nicht signifikant zwischen den Gruppen. Aber einen wichtigen Aspekt gab es dann doch: Die Passagiere, die letztendlich randomisiert wurden, befanden sich während der Intervention in signifikant geringerer Höhe (im Mittel 0,6 m) als die Passagiere, die nicht randomisiert wurden (im Mittel 9146 m; p<0,001). Auch war ihre Geschwindigkeit deutlich niedriger (im Mittel 0 km/h vs. 800 km/h; p<0,001). Sprich: Die Studie fand mit Flugzeugen statt, die am Boden standen (wie übrigens auch in meinem oben genannten Fallbeispiel).

Dass die Ergebnisse sich nicht ohne weiteres auf die Auswirkungen eines Sprungs aus großer Höhe übertragen lassen, klingt plausibel. Doch es dürfte schwer werden, für ein solches Setting genügend Probanden zu bekommen, die repräsentativ für die Gesamtpopulation sind.

Auf jeden Fall ist es ein guter Vorsatz für das neue Jahr: genau hinsehen und nicht nur schnell überfliegen, wenn uns eine neue Studie begegnet – sei das Fachjournal auch noch so renommiert.

Lust auf mehr kuriose Artikel?

Ihre Studie haben die Autoren selbst kommentiert unter „We jumped from planes without parachutes (and lived to tell the tale)“.

Und weitere kuriose Forschung bietet das British Medical Journal in seiner alljährlichen Weihnachtsausgabe.