Uns geht es so gut wie nie und trotzdem ist die Wahrnehmung oft eine andere. Beispielsweise wittern viele Menschen an jeder Ecke Gefahren, obwohl die Kriminalitätsrate gesunken ist. Wissenschaftler gingen diesem Phänomen auf den Grund und veröffentlichten das Ergebnis im Wissenschaftsjournal „Science“.
Wie kommt das?
Eine Theorie ist, dass die Bewertung von Ereignissen anhand der Häufigkeit ihres Auftretens erfolgt. Wird ein Ereignis seltener, verschiebt sich auch unsere Wahrnehmung dahingehend. Dinge, die vorher als normal oder nicht nennenswert erschienen, werden plötzlich als herausragend oder wichtig eingestuft bzw. fallen überhaupt erst auf.
Wissenschaftler haben dazu verschiedene Experimente durchgeführt und diese in „Science“ veröffentlicht.
Wie blau muss blau sein …?
… um als „blau“ wahrgenommen zu werden? Die Erkenntnis: Es kann auch lila sein, wenn wenig blau drumherum ist.
Konkret heißt das: Die Forscher hatten ihren Probanden in zwei Gruppen eingeteilt blaue und lila Punkte gezeigt. Diese sollten entscheiden, welche der beiden Farben sie sehen. Das klappte in beiden Gruppen erwartungsgemäß gut.
Anschließend wurde mitgeteilt, dass die Zahl der blauen Punkte eventuell weniger würde, was in der einen Gruppe (Test-Gruppe) auch durchgeführt wurde. Daraufhin nahmen die Probanden dieser Gruppe häufig lila Punkte als blau wahr, während die andere Gruppe (Kontroll-Gruppe) konstant urteilte. Das Experiment wurde dahingehend zugespitzt, dass in der Test-Gruppe bekannt gegeben wurde, dass die Zahl der blauen Punkte definitiv abnehmen werde, danach die Anweisung gegeben wurde, sein Urteil davon nicht beeinflussen zu lassen und sogar ein finanzieller Anreiz gesetzt wurde, bei seinen ursprünglichen Auswahlkriterien für „blau“ und „lila“ zu bleiben. Dann wurde noch in zwei Untergruppen die Zahl der blauen Punkte entweder schlagartig oder nach und nach reduziert.
Unter allen Versuchsbedingungen nahmen die Probanden bei abnehmender Prävalenz blauer Punkte mehr lila Punkte als blau wahr.
Gilt das auch für andere Szenarien?
Die Forscher wiederholten dieses Experiment mit freundlich, neutral und bedrohlich dreinschauenden Gesichtern mit der Anweisung, bedrohliche Gesichter herauszusuchen. Das Ergebnis war dasselbe: Wurden die bedrohlichen Gesichter weniger, wurde ein neutraler Gesichtsausdruck häufiger als bedrohlich wahrgenommen.
Ist das ein visuelles Phänomen?
Nein, ist es nicht! Die Probanden wurden in einen fiktiven Expertenbeirat berufen und sollten über medizinische Studienanträge entscheiden: Sind diese ethisch einwandfrei oder nicht? Verschwanden unethische Studienprotokolle, schlossen die Studienteilnehmer häufiger Anträge aus, die zu Beginn des Versuchs noch als „sauber“ empfunden worden waren.
Was bedeutet das für uns?
Egal, wie sehr wir uns bemühen, wir bewerten Ereignisse immer anhand der Umstände, in denen wir leben. Wird ein Phänomen seltener, messen wir ihm plötzlich mehr Bedeutung bei.
Armut, Analphabetismus, Gewalt und Kindersterblichkeit sind soziale Probleme, die in vielen Ländern stark zurückgegangen sind, dennoch glaubt die Mehrheit der Menschen, dass die Welt immer schlechter wird – so die Autoren. Die Zahl der ungelösten Probleme werde hartnäckig bleiben, wo sie ist – denn je seltener Probleme vorkommen, desto mehr sehen wir davon.