Mythos Penicillin-Allergie: Das Label entfernen

Bei der Frage nach Arzneimittelallergien erscheint Penicillin oft ganz oben auf der Liste – angesichts steigender Antibiotikaresistenzraten und in der klinischen Praxis ein Problem. Wie ein Delabeling für diese oft nicht korrekte Einschätzung erfolgen kann, war Thema des Allergo Updates 2024.

Umgang mit Unverträglichkeiten

Prof. Bettina Wedi, Hannover, stufte in ihrem Vortrag im Rahmen des Allergo Update 2024 etwa ein Sechstel aller unerwünschten Arzneimittelreaktionen (UAW) in die Kategorie der „drug hypersensitivity“ ein. Sie plädierte dafür, im Deutschen eher den Begriff „Medikamentenüberempfindlichkeit“ zu verwenden, da auch UAW ohne Allergiebezug in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind. Es handelt sich hierbei um ein häufiges und zunehmendes Problem – insbesondere bei älteren Menschen und bei der Verwendung von Antibiotika außerhalb der Gruppe der Beta-Laktame.

Laut Anaphylaxie-Register sind Medikamente meistens die Auslöser für die fatalen und beinahe tödlichen Reaktionen.

Eine qualitativ hochwertige Übersichtsarbeit zum Thema Krankheitslast durch selbstberichtete Antibiotikaallergien zeige eine hohe Prävalenz. Dennoch bekommen bis zu 60% der Patienten keine leitliniengerechte Behandlung. Eine weitere Untersuchung beschrieb starke Beeinträchtigungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität durch eine Arzneimittelüberempfindlichkeit – insbesondere nach einer erfahrenen Anaphylaxie. Demnach führt die arzneimittelinduzierte Anaphylaxie bei etwa einem Drittel der Patienten zu Hospitalisierungen, bei etwa 12% zu einer Aufnahme auf die Intensivstation. Damit verbunden können Folgeerkrankungen auftreten, etwa in Form psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen.

Delabeling der Penicillinallergie

Prof. Wedi sieht Verbesserungspotenzial in der Diagnostik der Arzneimittelallergien. Hierbei wurden in den letzten fünf Jahren weniger die klassischen Methoden Hauttest und oraler Provokationstest eingesetzt, sondern vermehrt die Strategie eines direkten Delabeling gefahren, also eine direkte Verneinung in der Allergieanamnese ohne weitere Prüfung. Außerdem nehmen laut der Allergologin direkte orale Provokationstests ohne vorherige Hauttests zu, und das nicht immer mit dem verdächtigten Präparat.

Eine frühzeitige, proaktive, allergologische Abklärung bei einer vermuteten Penicillinallergie ist gefordert. In der Anwendung hat das Konzept Erfolg: In der Regel erreichen neun von zehn Fällen dabei tatsächlich ein Delabeling. Seitens von Antibiotic-Stewardship-Teams soll diese Prüfung vor dem erforderlichen Einsatz und durch nichtallergologische Mediziner großflächig erfolgen.

Wie vorgehen?

Delabeling mit direktem Provokationstest kann schwierig sein. Denn selbst wenn die Anzahl der tatsächlichen Penicillinallergien niedrig ist, können bei diesen Patienten anaphylaktische Reaktionen auftreten, vor allem ohne vorherigen Hauttest. Zudem wurde beobachtet, dass viele Patienten solch einer Provokation äußerst kritisch gegenüberstehen und selbst nach einem erfolgreichen Delabeling die Einnahme des Präparats verweigern.

Diskutiert wird momentan auch der Einsatz von Algorithmen zur Abschätzung von Risikogruppen. Dazu müsste allerdings eine strikte Definition von „low-risk“ sowie eine konkrete Handlungsempfehlung für den Provokationstest vorliegen – beides bisher nicht der Fall. Wedi warnte vor dem verbreiteten Unverträglichkeits-Stempel und empfahl eine zeitnahe leitlinienorientierte allergologische Abklärung. Doch auch hier fehle leider eine klare Strategie.

Quelle

Prof. Dr. med. Bettina Wedi, Hannover. Allergo Update 2024, Berlin. „Medikamentenallergien“ (Vortrag am 1. März 2024).

Bildquelle

Grycaj – stock.adobe.com