Lesen gefährdet Leben?!

Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln sind in Film und Fernsehen nicht immer korrekt dargestellt. Doch wie sieht es mit Büchern aus? Forscher haben sich in der Weihnachtsausgabe des British Medical Journal ein Werk von Roald Dahl genau angesehen.

Fiktion und Wirklichkeit

Roald Dahl ist bekannt für seine feinsinnigen bis makabren Romane voller schwarzem Humor für Kinder und Erwachsene. Zu den bekanntesten zählen sicher „Matilda“ und „Charlie und die Schokoladenfabrik“. In einer aktuellen Publikation haben Autoren nun sein „Wundermittel“ (original: „George’s Marvellous Medicine“) toxikologisch untersucht. Nur so viel vorweg: In einigen Ausgaben steht zu recht die Warnung „Versuche nicht, Georges Wundermittel zu Hause nachzumachen. Es könnte gefährlich sein“.

Handlung
George wird von seiner Großmutter regelmäßig getriezt und herumgeschubst. Um ihr einen Denkzettel zu verpassen, will er einen Zaubertrank zubereiten und damit ihre übliche Medizin ersetzen. Dazu trägt er verschiedene Zutaten im Haus zusammen und braut daraus einen Trank. Georges Großmutter beginnt nach der Einnahme plötzlich zu wachsen, bis sie sogar durch die Decke des Hauses stößt und nur noch mit einem Kran befreit werden kann. Derweil beschließt Georges Vater den Trank für seine Hühnerzucht zu verwenden, um besonders große, fette Tiere für den Verkauf zu bekommen. Als George den Trank nachbrauen soll, erinnert er sich jedoch nicht mehr an die genaue Zusammensetzung und erhält beim Herumprobieren plötzlich ein Gebräu, das alles schrumpfen lässt. Diesen geben sie auch seiner Großmutter, die jedoch so viel davon trinkt, dass sie winzig klein wird und schließlich ganz verschwindet. Georges Mutter ist zunächst traurig und schockiert über das Verschwinden ihrer Mutter, akzeptiert dies jedoch relativ schnell, da diese ein entsetzlicher Quälgeist war.

Wundermittel oder doch nur Gift?

In Georges Zaubertrank waren 34 haushaltsübliche Zutaten aus Küche, Bad und Keller enthalten, beispielsweise Deo, Shampoo, Gebissreiniger, Gin, Chilli-Soße und Frostschutzmittel. Die Autoren untersuchten alle Inhaltsstoffe auf klinische und toxische Effekte in der Datenbank ToxBase. Sie loben die anfänglich noch relativ stimmige Beschreibung der Symptome von Georges Großmutter (z.B. Magenbrennen, Zuckungen). Danach wird es jedoch eher fantastisch als realistisch.

Keiner der Inhaltsstoffe löst Wachstum aus, dafür aber vor allem Übelkeit und Erbrechen (16 von 34; 47%), Durchfall (32%) oder sogar potenziell lebensbedrohliche Nebenwirkungen (38%). So waren beispielsweise auch bei 18% Herzschäden und bei 38% neurologische Ausfälle zu erwarten. Wechselwirkungen oder potenzierende Effekte zwischen den Zutaten wurden nicht untersucht.

Insgesamt erfordere eine solch komplexe Vergiftung eine mindestens ebenso komplexe Behandlung mit unter anderem Antidota, Dialyse sowie Management von Krampfanfällen und Herzarrhythmien.

Finger weg von Zaubertränken

Die Autoren empfehlen, Kinder bei Ihrem Forscherdrang unbedingt zu unterstützen, aber alle verwendeten Substanzen vorher auf Unbedenklichkeit zu überprüfen. Denn auch diese spaßig anmutende Untersuchung hat einen ernsten Hintergrund: Versehentliche Vergiftungen sind in Europa mit 3000 Fällen eine relativ häufige Todesursache bei Kindern. Gerade Zaubertränke üben eine große Faszination auf Kinder aus, so die Autoren, daher sei es besonders kritisch, wenn die in Geschichten genannten Zutaten auch noch leicht in Haus und Garten zu finden sind.

Giftnotrufzentralen

Hegen Eltern den Verdacht, dass ihr Kind gefährliche Mengen einer giftigen Substanz eingenommen haben könnte? Dann sollten sie sich so schnell wie möglich mit dem Kinderarzt oder mit einem Giftinformationszentrum in Verbindung setzen.

Die Zentren sind unter folgenden Telefonnummern zu erreichen:

  • Berlin: 0 30/19 24 0
  • Bonn: 02 28/19 24 0
  • Erfurt: 03 61/73 07 30
  • Freiburg: 07 61/19 24 0
  • Göttingen: 05 51/19 24 0
  • Homburg/Saar: 0 68 41/19 24 0
  • Mainz: 0 61 31/19 24 0
  • München: 0 89/19 24 0
  • Nürnberg: 09 11/39 82 45 1 oder 09 11/39 82 66 5
  • Wien: +43-1-406 43 43
  • Zürich: +41-44-251 51 51 (aus der Schweiz: 145)

Eine vollständige Übersicht der Giftnotruf- oder Giftinformationszentralen für den deutschsprachigen Raum findet sich auch auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) „Kindergesundheit-Info“.

Quelle

Johnson G, Davies P. Toxicological analysis of George’s marvellous medicine: literature review. BMJ 2020;371:m4467